Emmy Ball-Hennings

Ball-Hennings, Emmy; geboren als Emma Maria Hennings.

Von Dada zum Katholizismus

Geboren in Flensburg am 17. Januar 1885
Gestorben in Soregno am 10. August 1948

„Schon vor vielen Jahren trug ich mich mit dem Plan, ein schriftliches Bekenntnis meines Lebens abzulegen. Ich machte sehr viele Aufzeichnungen, die ich immer wieder verwarf. Warum? Was ich vorbrachte, kam mir zwar zum Teil recht unterhaltsam, aber nicht genügend aufrichtig, nicht ehrlich genug vor. So neigte ich zum Beispiel dazu, die wichtigsten Fehler meines Wesens zu beschönigen, zu umschreiben oder ganz zu verschweigen. Dadurch wurde das Lebensbild unklar und unbegreiflich.“ #1 Die Suche nach der Aufrichtigkeit ist es, die nicht nur die 1940 erschienenen Erinnerungen Das flüchtige Spiel prägt, sondern die das Leben von Emmy Ball-Hennings auch in künstlerischer Hinsicht bestimmt. Zugleich Autorin, Schauspielerin, Sängerin und Kabarettistin, hat sie sich nicht zuletzt als Mitbegründerin des Dadaismus einen Namen gemacht.

Die auf die Vornamen „Emma Maria“ #2 getaufte Emmy entstammt der deutsch-dänischen Familie Cordsen und wurde am 17. Januar 1885 in Flensburg geboren. „Mein Vater arbeitete auf einer Schiffswerft. Dort war er Rigger oder Takler. Er hatte die Hißtaue an den Schiffsmasten anzubringen und alles zu ordnen, was mit dem Segelwerk und dem Stapellauf eines Schiffes zu tun hat.“ #3 Emmys Jugend erwies sich als kurz: „Sie verdiente nach der Volksschule ihren Lebensunterhalt als Dienstmädchen und heiratete mit 18 Jahren den Schriftsetzer Hennings.“ #4 Die Ehe wurde nach der Geburt der Tochter Annemarie 1906 #5 im Folgejahr geschieden, woraufhin unstete Jahre mit zahlreichen Ortswechseln begannen.

Hennings arbeitete als Laienschauspielerin und Vortragskünstlerin, bisweilen aber auch als „Hausiererin, Animiermädchen, Gelegenheitsprostituierte“. #6 Da konkrete Angaben oft fehlen und sich die Erinnerungen von Zeitgenossen bisweilen widersprechen, muss biographisch manches offen bleiben. „Als gesichert kann gelten, daß das Auftauchen Emmy Hennings‘ in der Berliner Bohème in das Jahr 1908 fällt und der Aufenthalt mit Unterbrüchen bis mindestens in das Jahr 1911 dauerte. Von 1912 an war Emmy Hennings in München im Simplizissimus, der berühmten Künstlerkneipe der Kathi Kobus, engagiert, hielt sich aber zeitweise in Berlin auf.“ #7 In München „lernte Hennings die Dichter Georg Heym, Hardekopf, Wedekind, Werfel und ihren späteren Mann Hugo Ball kennen“. #8 Mit dem Schriftsteller und Biografen Hugo Ball (1886–1927), den sie 1920 heirateten wird, siedelte Hennings 1915 in die Schweiz über. Beide gründen 1916 in Zürich – mit Unterstützung u.a. von Hans Arp, Marcel Janco, Richard Huelsenbeck und Tristan Tzara – das Cabaret Voltaire und damit die Geburtsstätte des Dadaismus. „Ohne das Cabaret Voltaire, als seine ‚Wiege und Wirkungsstätte‘, ohne einen festen Ort, ein Datum und die Signatur seiner ‚Gründer‘ hätte Dada nicht nur nicht mit dem gleichen Effekt in die Kunstgeschichte und Historiografie der Moderne integriert werden können, sondern es ist auch mehr als fraglich, ob Dada ohne diesen Ereigniszusammenhang überhaupt hätte entstehen können.“ #9  Im Cabaret Voltaire trat Hennings fast allabendlich als Sängerin, Performerin und Rezitatorin auf, häufig am Klavier begleitet von Hugo Ball. 1917 beteiligte sie sich an der Gründung der Galerie Dada. Nachfolgend verloren Hennings und ihr Partner jedoch das Interesse am Dadaismus und wandten sich nach mehreren Ortswechseln sukzessive dem Katholizismus zu. Diese Entwicklung war bereits „in den wilden Berliner und Münchener Jahren“ angelegt; für Hennings war der Glaube jener Trost, um „einen Ausweg aus tiefster Hoffnungslosigkeit zu weisen“. #10 Ihre Biografin Bärbel Reetz nennt die „Konversion zum Katholizismus“ bereits für das Jahr 1911. #11

In schriftstellerischer Hinsicht erschien 1913 mit Die letzte Freude ihre erste Lyriksammlung. „Die Gedichte Emmy Hennings‘ stehen ganz im Banne frühexpressionistischer Lyrik, lassen aber darüber hinaus persönliche Töne anklingen, die einen Widerhall geben von den außerhalb jeder bürgerlichen Gleichgültigkeit und Saturiertheit gesammelten Lebenserfahrungen. Die Dichterin selbst lehnte sich dagegen auf, einer Kunstrichtung, d.h. einem ‚Ismus‘ zu verfallen.“ #12 1914 ist Hennings aufgrund eines Diebstahls inhaftiert; #13 die Erfahrungen um eine wohl aufgrund von Missverständnissen erfolgte zweite Verhaftung im Jahr 1915 verarbeitete sie in dem Roman Gefängnis (1919). Dort „wird dargestellt, wie der Weg unaufhaltsam in den Untergrund führt, wo die schutzlos Preisgegebene auf keine ihrer Fragen nach den Gründen ihrer Verhaftung eine Antwort erhält“. #14 Allerdings: „Die Quellen zu Emmy Hennings‘ Inhaftierungen sind teilweise widersprüchlich. Auch sie selbst macht in ihren Texten widersprüchliche Angaben.“#15 Das „Tagebuch“ Brandmal (1920) schildert hingegen die Hinwendung zum Katholizismus, ist aber auch „der Versuch, in dichterischer Form die Vergangenheit zu bannen und einen Weg aus dem verwirrenden Labyrinth des bisherigen Lebens zu finden“. #16 Nach dem Tod ihres Ehemanns im Jahr 1927 veröffentlichte Hennings mehrere Bücher über ihn, die als ihr Hauptwerk angesehen werden können: Hugo Ball. Sein Leben in Briefen und Gedichten (1930) und Hugo Balls Weg zu Gott (1931). Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie im Tessin, wo sie am 10. August 1948 gestorben ist. Posthum erschien nicht nur Ruf und Echo. Mein Leben mit Hugo Ball (1953), sondern auch der Briefwechsel, den sie mit Hermann Hesse geführt hat. #17

Hesse schrieb das Geleitwort zu Hemmings autobiographischem Buch Blume und Flamme. Geschichte einer Jugend (1940): „Ihr Leben verlief außerhalb der normierten bürgerlichen Welt, ein bald abenteuerliches und figurenreiches, bald einsames und höchst verborgenes Leben. Noch ehe sie eine Zeile veröffentlicht hatte, war sie eine bekannte und zuzeiten umschwärmte Persönlichkeit als Schauspielerin und Sängerin im Münchener Simplizissimus. […] Niemals hat die Dichterin auf der Sonnenseite gelebt und es leicht gehabt, vielleicht hat sie es auch niemals ernstlich sich gewünscht. Sie lebt lieber unter Kämpfenden, Armen, Bedrückten, sie liebt die Leidenden, sie fühlt für die Verfolgten und Rechtlosen. Sie bejaht das Leben auch in seiner Härte und Grausamkeit und liebt die Menschen bis in alle Verirrung und Not hinein. Und ich glaube, daß diese aufrichtigen, erlebten und so schönen Bücher uns überleben werden.“ #18

Nach Emmy Ball-Hennings ist in Flensburg eine Straße benannt. Die gemeinsame Bibliothek von ihr und ihrem Mann befindet sich im Schweizerischen Literaturarchiv Bern. Seit 2016 erscheint im Wallstein-Verlag eine kommentierte Studienausgabe ihrer Werke; bisher (Stand Ende 2021) sind drei Bände erschienen.

11.12.2021 Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Emmy Ball-Hennings: Das flüchtige Spiel. Wege und Umwege einer Frau. Frankfurt am Main 1988, S. 9.

2 Bärbel Reetz: Das Paradies war für uns. Emmy Ball-Hennings und Hugo Ball. Berlin 2015, S. 415.

3 Emmy Ball-Hennings: Blume und Flamme. Geschichte einer Jugend. Frankfurt am Main 1987, S. 15.

4 Angelika Müller/Red.: Hennings, Emmy. In: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, hg. v. Wilhelm Kühlmann, Bd. 5, Berlin 2009, S. 271–272, hier S. 271.

5 Bärbel Reetz: Das Paradies war für uns, wie Anm. 2.

6 Anke Hees: Hennings, Emmy. In: Deutsches Literatur-Lexikon. Das 20. Jahrhundert, hg. v. Konrad Feilchenfeldt, Bd. 1, Berlin/München 2000, Sp. 540–542, hier Sp. 540.

7 René Gass: Emmy Ball-Hennings. Wege und Umwege zum Paradies. Zürich 1998, S. 67.

8 Angelika Müller/Red.: Hennings, Emmy, wie Anm. 3. – Vgl. hierzu: „Vom Anfang der Beziehung gibt es verschiedene Versionen aus der Feder Emmy Hennings.“ René Gass: Emmy Ball-Hennings, wie Anm. 7, S. 116.

9 Nicola Behrmann: Geburt der Avantgarde – Emmy Hennings. Göttingen 2018, S. 159.

10 René Gass: Emmy Ball-Hennings, wie Anm. 7, S. 92.

11 Bärbel Reetz: Das Paradies war für uns, wie Anm. 2, S. 416.

12 René Gass: Emmy Ball-Hennings, wie Anm. 7, S. 108.

13 Vgl. ebd., S. 127.

14 Ebd., S. 131.

15 Bärbel Reetz: Emmy Ball-Hennings. Leben im Vielleicht. Frankfurt am Main 2001, S. 111.

16 René Gass: Emmy Ball-Hennings, wie Anm. 7, S. 47f.

17 Emmy Ball-Hennings: Briefe an Hermann Hesse. Hg. v. Annemarie Schütt-Hennings, Frankfurt am Main 1956. Vgl. hierzu Hermann Hesse, Briefwechsel 1921–1927 mit Hugo Ball und Emmy Ball-Hennings. Hrsg. v. Bärbel Reetz. Frankfurt am Main 2003.

18 Hermann Hesse: Geleitwort. In: Emmy Ball-Hennings, Blume und Flamme. Geschichte einer Jugend, Frankfurt am Main 1987, S. 7f.