Ernst Barlach

Barlach, Ernst Heinrich

Bildhauer, Schriftsteller und Zeichner zwischen Realismus und Expressionismus

Geboren in Wedel am 02. Januar 1870
Gestorben in Rostock am 24. Oktober 1938

Ernst Barlach ist heute vielen als bildender Künstler ein Begriff, war zu seinen Lebzeiten jedoch auch bekannt für sein literarisches Werk. Dieses besteht aus autobiographischen Texten sowie Dramen. Besonders mit diesen feierte Barlach damals einen großen Erfolg auf den Bühnen nicht nur aber vor allem Berlins. Heutzutage zählt er jedoch zu den oftmals übersehenen Dichtern des 20. Jahrhunderts. Barlachs Literatur gibt Zeugnis von einem existentiellen Ringen um Sinngebung innerhalb einer entfremdeten Welt. Dabei provozieren seine Dramen immer wieder eine lebhafte Auseinandersetzung. 

Ernst Barlach wird 1870 in Wedel geboren. Seine Familie lebt später in Schönberg (Mecklenburg) und dann für einige Jahre in Ratzeburg. In seinen Erinnerungen Ein selbsterzähltes Leben heißt es: „[A]ls später mein [...] Vater zu mir sagte: ‚Wir ziehen nun bald nach Ratzeburg‘, da fragte ich hellhörig zurück: ‚Ist das da, wo das schöne Wasser war?‘ – Das war es.“ #1 Seine Familie lebte zunächst in einem Haus in der Seestr. 6 und zog bald darauf in das Gebäude des heutigen Museums in der Barlachstr. 3. Dieses Haus wird von Barlach als abgründiger Ort voller „Winkel und Verschläge, Böden und Finsterräume, allzu erwünscht für ein Gemüt voll Ahnen und Grausen“ beschrieben. #2Nach dem Tod des Vaters zieht die Familie nach Schönberg zurück. Nachdem Barlach 1888 nach Hamburg zieht und dort an der Allgemeinen Gewerbeschule Schüler wird, geht er 1891 nach Dresden und studiert an der Königlichen Akademie der Bildenden Künste. Die nächsten Jahre verwirklicht sich Barlach künstlerisch an verschiedenen Orten – Paris, Hamburg, Altona, Berlin. Schließlich kehrt er 1901 wieder in seine Geburtsstadt Wedel zurück. Er hat diese Zeit in einem Kapitel seines postum erschienenen autobiografischen Romans Seespeck geschildert. Auch wenn der Ton hier durchaus versöhnlich und der Blick zurück auf die Kindheit von Nostalgie geprägt ist, gelingt es Barlachs Protagonisten doch nicht, sich harmonisch in die Kleinstadt einzufügen. In Wedel schreibt er auch erstmals Dramen, nachdem er sich in den Jahren vorher schon an ersten literarischen Werken ausprobiert hatte. 1906 unternahm Barlach eine Russlandreise, die ihn künstlerisch nachhaltig beeinflusste. Zwischen 1906 und 1938 entstanden neben autobiographischen Arbeiten die Dramen: Der tote Tag (1912), Der arme Vetter (1917), Die echten Sedemunds (1920), Der Findling (1922), Die Sündflut (1924), Der blaue Boll (1926), Die gute Zeit (1929) und Der Graf von Ratzeburg (1951) - ferner die Romane Seespeck und Der gestohlene Mond (beide postum 1948).

Die Prosa Barlachs, vor allem seine Romane, reflektiert die Krise des neuzeitlichen Bewusstseins, wie sie für die klassische Moderne seit Ende des 19. Jahrhunderts, verschärft durch den Ersten Weltkrieg, fassbar wird. Die vertrauten Gewissheiten, insbesondere der Glaube an Fortschritt und die Autorität instrumenteller Vernunft sind ins Wanken geraten. Unsicherheit gegenüber dem Gegebenen, Infragestellung der als fassadenhaft erlebten Welt und ihren Werten, "der panische Schrecken vor einem so beschaffenen Dasein" (Barlach) sind Signatur der Epoche – und damit das mitunter verzweifelte Suchen nach einer anderen, einer besseren Welt. Der Blick öffnet sich für Bereiche jenseits der Realien, für das Unsichtbare, das Phantastische, die visionäre Entrückung, auch die tiefen Keller des Unbewussten. Bei Barlach wird "die Seltsamkeit der Tatsache Mensch" und der "Unsinn eines solchen Daseins" allerdings nicht weinerlich beschworen, sondern die Verzweiflung daran wird durch Humor und Spott gebrochen. Barlach nimmt für sich die Haltung Eulenspiegels in Anspruch. Er sieht die großen Worte des Herrenmenschen als "Schellengeläute an einem Gerippe", und dieser erscheint ihm nicht als Krone der Schöpfung, sondern als Kettensträfling.

29.09.2021 Jürgen Doppelstein/Nikola Schaum

ANMERKUNGEN

1 Ernst Barlach: Ein selbsterzähltes Leben. Hrsg. v. Ulrich Bubrowski. 2. Auflage, Hamburg: Ernst Barlach Gesellschaft 2006, S. 22.

2 Ebd., S. 25.