Gerrit Bekker

Bekker, Gerrit Michalis

Zwischen Literatur und Malerei

Geboren in Hamburg 1943

Gerrit Bekker gehört zu den Doppelbegabungen – er schreibt und er malt. Was bedeutet, dass man niemals „den Maler ohne den Schriftsteller“ antreffen wird – „und ebenso wenig Letzteren ohne den Ersteren“. #1 Dieses Spannungsverhältnis erweist sich als grundlegend: „Gerrit Bekker ist sicherlich [...] eine gespaltene Natur, in der sich Okzident und Orient auseinandersetzen. Das muss und führt auch zu einer inneren Zerrissenheit und Unruhe, die dem Künstler bis heute etwas Unstetes und Ruheloses geben. Auf der anderen Seite kann Gerrit das Norddeutsche mit seinem versteckten Humor und seinem Wunsch nach Häuslichkeit und Geborgenheit vor uns nicht verstecken. In wunderbaren Momenten tritt diese Eigenschaft – für Freunde nicht unerwartet – zutage.“ #2

Gerrit Michalis Bekker wird am 23. Oktober 1943 in Hamburg geboren und verbringt die Jahre 1957–60 in Griechenland. 1961/62 studiert er an der Schauspielschule in Hamburg; ab 1962 wohnt er in Rendsburg. Von 1965–68 und 1970 studiert er Malerei in Kiel an der Muthesius-Fachhochschule (der heutigen Muthesius Kunsthochschule) bei Gottfried Brockmann und Martin Domke. Er heiratet 1966 und hat mit seiner Frau eine Tochter; 1970 wird die Ehe geschieden. Es folgen Wanderjahre, oft in Form von Segelfahrten auf der westlichen Ostsee; seit 1967 stellt Bekker seine Werke im In- und Ausland aus und liest aus seinen Texten. 1995 zieht er nach Berlin, ab 1996 unterhält er zusätzlich ein Atelier in Lindewitt (Kreis Schleswig-Flensburg). #3

1982 erscheint mit Wachsflügels Furcht Bekkers erster Lyrikband. „In den Gedichten steckt“, so sein Lektor Arnulf Conradi, „ein Kunstwille im Umgang mit Reim und Rhythmus, der sich stark abhebt von jener Art moderner Lyrik, die sich dem Risiko der Gestaltung gar nicht erst aussetzt.“ #4 Bekker hingegen würde „entschlossen“ mit der Sprache umgehen, „um sie nach seiner rhythmischen Anforderung oder seiner bildlichen Phantasie“ zu formen. #5 Conradi nennt als Beispiel den Neologismus „Immerwogetanz“ aus dem Gedicht Sehfahrt ist Not, bei dem das Auge bereits im Titel vorhanden ist:

Vom Land gelassen –
das Meer im Immerwogetanz
schlägt mir das Feuchte,
Gischt erlahmt als Träne,
ins Gesicht,
gedenke so der Mehrung
langer Wunsch zu halten,
daß ich befesten darf,
wie Wasser über Grund
befestigt ist.
Ich bin allein mit uns,
Nichtsnutz ist Wohlerede,
weder Stein noch Bein. –
Ergebe mich der See
nur leise hin,
so leise wie im Schlafe bin,
so leis.

Gerrit Bekker: Sehfahrt ist Not. In: Wachsflügels Furcht. Gedichte. Düsseldorf 1981, S. 40.

Während Conradi für Bekkers Lyrik das Werk von T.S. Eliot als Bezugspunkt nennt, sieht er für die Prosa einen anderen „Markstein“, nämlich Klaus Groth. In der lyrischen Erzählung Petersens Meerfahrt (1982) „findet sich ein kleines, witziges Porträt von Klaus Groth, in dem er als ein zugleich naiver und entschlossener Mann dargestellt wird, als energisch und sensibel.“ #6 1985 folgt der Erzählungsband Die Nacht nach Betti Hagen und 1992 Farbe der Schatten, ein Nachkriegsroman über das Heranwachsen im zerstörten Hamburg. Das Buch lässt sich als fiktionalisierte Autobiographie beschreiben, als eine Schilderung der frühen Jahre, die sich im Kern um die Malerei selbst dreht: „Der Roman zeichnet im Grunde die Geschichte von Gerrit Bekkers Malerei nach. Es ist der biographische Schatten, den ja jedes Werk wirft und aus dem es immer entworfen wird.“ Niemand in der Literatur sei „mit solcher Eindringlichkeit, Erfahrung und Sicherheit auf die Malerei eingegangen“. #7

Farbe der Schatten wird mehrfach ausgezeichnet. Danach hat sich Bekker hauptsächlich der Malerei gewidmet, die internationale Anerkennung erfährt, veröffentlicht aber weiterhin Gedichtbände. „Das Wunderbare an der Malerei Gerrit Bekkers ist seine Kunst, uns ganz viel zu erzählen, ohne abbildend zu sein. Seine Bilder erzählen eine Welt des intensiven Erlebens, des eruptiven Begegnens und der dramatischen Bewegung. Bekker ist ein virtuoser Meister von Komposition und Farbe. […] Er produziert eine eigene Welt, mit eigenen Wesen, mit eigenen Zuständen, mit der Überlagerung von Phänomenen des Inneren und des Äußeren.“ #8 Entsprechend sind Bekkers Gemälde keine Abbilder der Außenwelt, sondern genügen sich selbst. „Sie entfalten ein individuelles Leben. Sie können für den Maler eine zuvor unbewußte und unbeabsichtigte Bedeutung gewinnen, die sich in manchen Fällen erst nach Jahren erfüllt. Sie können eine geheime, stille Botschaft enthalten, die sich einem ganz bestimmten Betrachter zu einem ganz bestimmten Augenblick erschließt, während andere gleichgültig bleiben müssen.“ #9

Gerrit Bekker ist für sein Werk mehrfach ausgezeichnet worden, u.a. mit dem Friedrich-Hebbel-Preis (1983), dem Förderpreis des Kunstpreises des Landes Schleswig-Holstein (1984) und dem Mara-Cassens-Preis für den ersten Roman (1992; für Die Farbe der Schatten). Er hat viermal das Arbeitsstipendium Deutscher Literaturfonds (1982/1984/1991/1994) und dreimal das Arbeitsstipendium des Landes Schleswig-Holstein (1986/1995/1998) erhalten. 1985 war er Writer in Residence in New York (USA). Seine Prosa ist unter anderem ins Griechische übersetzt worden.

Seit dem Jahr 2014 existiert die Gerrit-Bekker-Gesellschaft e.V. mit Sitz in Berlin, die Bekkers Arbeit dauerhaft für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich machen will. Hierzu gehört u.a. eine kunstwissenschaftliche Betreuung des Werks sowie der Aufbau einer entsprechenden Sammlung und eines Archivs. Zudem vergibt die Gesellschaft „Stipendien zur Förderung von jungen Künstlern mit Doppelbegabung im Bereich der bildenden Kunst und der Literatur“. #10

16.08.2022 Kai U. Jürgens/Redaktion

ANMERKUNGEN

1 Jörgen Bracker: Brief aus Hamburg. (12. November 2003). In: Ars Borealis. Edition zur zeitgenössischen Kunst im Norden. Ausgabe 4: Gerrit M. Bekker, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2004, S. 27.

2 Boyer Fürsen: Gerrit Bekker zum Sechzigsten. In: Ars Borealis. Edition zur zeitgenössischen Kunst im Norden. Ausgabe 4: Gerrit M. Bekker, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2004, S. 13–15, hier S. 15.

3 Die Lebensdaten folgen den Angaben in: Ars Borealis. Edition zur zeitgenössischen Kunst im Norden. Ausgabe 4: Gerrit M. Bekker, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2004, S. 34.

4 Arnulf Conradi: Von der Furcht vor dem Verlust der Naivität. Über die Gedichte von Gerrit Bekker. In: Die Horen, 27. Jg., H. 126, 1982, S. 109–117, hier S. 109.

5 Ebd., S. 114.

6 Conradi: Von der Furcht, wie Anm. 4, S. 112.

7 Arnulf Conradi: Der Schriftsteller Gerrit Bekker. In: Ars Borealis. Edition zur zeitgenössischen Kunst im Norden. Ausgabe 4: Gerrit M. Bekker, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2004, S. 30–32, hier S. 32.

8 Andreas v. Randow: Die Kunst von Gerrit Bekker. In: Ars Borealis. Edition zur zeitgenössischen Kunst im Norden. Ausgabe 4: Gerrit M. Bekker, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2004, S. 28.

9 Christian Rathke: „Das Widereinanderstehende zusammenstimmend und aus dem Unstimmigen die schönste Harmonie“ (Heraklit). Notizen zu einigen Gemälden Gerrit M. Bekkers. In: Ars Borealis. Edition zur zeitgenössischen Kunst im Norden. Ausgabe 4: Gerrit M. Bekker, hg. v. d. Sparkassenstiftung Schleswig-Holstein, Kiel 2004, S. 3–7, hier S. 6.

10 https://gerrit-bekker-gesellschaft.de/ziele-und-satzung.