Waldemar Bonsels

Bonsels, Jakob Ernst Waldemar.

Bienenliebhaber und Antisemit

Geboren in Ahrensburg am 21. Februar 1880
Gestorben in Ambach am 31. Juli 1952

Es sind vor allem zwei Dinge, deretwegen man sich heute noch an Waldemar Bonsels erinnert: seine beiden Bücher über ein schwarzgelbgestreiftes Insekt namens Maja (bzw. die sehr frei darauf basierende japanische Fernsehserie aus den 1970er Jahren) und sein glühender Antisemitismus, der längst die Betrachtung seines umfangreichen und genreübergreifenden literarischen Werks überschattet. Über seine Kinder- und Jugendjahre in Schleswig-Holstein ist indes nur wenig bekannt.

Im holsteinischen Ahrensburg kommt Waldemar Bonsels als zweites von fünf Kindern des Apothekers Reinhold Bonsels und seiner Frau zur Welt. Zwischen 1884 und 1890 lebt die Familie in Berlin, wo der Vater Zahnmedizin studiert, und kehrt danach wieder nach Schleswig-Holstein zurück: in Kiel eröffnet Reinhold Bonsels 1890 seine eigene Zahnarztpraxis.

Zum 13. Geburtstag seiner Schwester Anni verfasst Waldemar im Oktober 1895 seine erste (unveröffentlichte) Erzählung, eine Schauergeschichte mit dem Titel „Château-Corbeau“. #1 Zur selben Zeit besucht er die Oberrealschule am Knooper Weg (heute Humboldt-Schule Kiel), die er 1896 ohne einen Abschluss beendet. Über seine glücklose Schulzeit schreibt Bonsels dreieinhalb Jahrzehnte später, in seinen Jugendmemoiren Tage der Kindheit:

Um diese Zeit muss es gewesen sein, dass ich vom Gymnasium zur Oberrealschule übersiedelte. Das Humanistische lag mir nicht, obgleich ich fast jede Klasse zwei Jahre lang besucht hatte. Mein Vater sah meine Zukunft in Finsternis. Er wollte vom Zuchthaus sprechen und sagte schon: „Zuch…“, sprang aber dann doch lieber auf Gefängnis über, weil er viel auf seinen guten Namen hielt. Die Lehrer der neuen Schule weckten meine Neugierde und flößten mir großen Respekt ein, solange sie mich nicht genau kannten.

Waldemar Bonsels: Tage der Kindheit [1931]. München/Wien 1986, S. 38

In den herbeigesehnten Sommerferien strolcht der Heranwachsende am Kieler Hafen entlang und beschwört Erinnerungen an die verwegenen Alltagsschilderungen eines Jack London oder Mark Twain herauf:

Die Hafengegend kann ich nicht mehr genau beschreiben, obgleich ich sie wie in einem Traumbild mit großer Deutlichkeit sehe. Das Auge eines Kindes sucht selten zusammenhängenden Überblick zu gewinnen und ermisst keine Verhältnisse, sondern es schaut Gegenstände, zu denen es Beziehung hat, und empfindet die Atmosphäre. Aus ihr entspringt meine letzte Vorstellung von dieser Gegend, die zum Hafen niederführte, an die spitzgiebeligen Wohnhäuser und Lagerschuppen und an den Mastenwald der Segelschiffe, der, wie ein dünnes braunes Himmelsgitterwerk, die Gasse geheimnisvoll abschloss. Am Kai roch es nach Teer, Fischen und Seetang, es knallte, polterte und dröhnte jenseits des Schienenstrangs, auf dem rotbraune, schmutzige Güterwagen standen, und das Geschrei und die Rufe der arbeitenden Menschen drangen dumpf und immer ein wenig bedrohlich durch Rauch, Nebel oder Kohlenstaub.

Ebd., S. 48 f.

Im Sommer darauf wird Waldemar von seinem Onkel Peters für vier Wochen in dessen Pfarrhaus in Ulsnis an der Schlei eingeladen. Hier endlich entdeckt der Junge seine neuromantische Faszination für die Mysterien der Natur, die sich etwa 20 Jahre später unter anderem in seinen Biene Maja-Büchern ebenso literarisch wie schrullig niederschlagen werden:

Ich weiß noch gut und für immer vom Morgenwind an der Schlei, von seinem Geruch im Frühtau, von Baumwipfeln, in denen ich Laubhütten baute, von den Blumenwiesen mit ihren Schmetterlingen und von der Waldtiefe, und dass ich allein war. Im Raum- und Zeitlosen blühte das Geheimnis, ich besaß alles und wusste nichts, das Daseinsglück war so unerkannt und doch in aller Helligkeit wirksam, wie es die Atemzüge eines Schlafenden in reiner Luft sind, der von Freude und Licht träumt. Ich war allein und lernte Einsamkeit als hohes Glück empfinden, als Stille und Freiheit. So bevölkerte ich die Welt nach meinem Sinn und errichtete ein Königreich, das ich in Wald- und Wiesenreviere genau abgrenzte […].

Ebd., S. 107

1898 nimmt der Vater eine Anstellung in Bielefeld an und die Familie verlässt für immer Schleswig-Holstein. Im Zuge seiner kaufmännischen Ausbildung landet Waldemar Bonsels schließlich, nach Etappen in Karlsruhe, Basel, England und Niederländisch-Indien, in München, heiratet und verfasst 1912 Die Biene Maja und ihre Abenteuer, in welchem er auch seine Kindheitserinnerungen verarbeitet. Das Buch wird in 40 Sprachen übersetzt und macht Bonsels weltberühmt. Auch der Nachfolgeband, Himmelsvolk. Ein Märchen von Blumen, Tieren und Gott (1915), wird ein Bestseller. In beiden Romanen, die sich kurioserweise großer Beliebtheit im Sturmgepäck der deutschen Soldaten erfreuen #2, tritt bereits deutlich zutage, was der Germanist Wilhelm Haefs als „Amalgam aus kruden Biologismen, sozialdarwinistischen und rassistischen Denkfiguren und literarisch überhöhten Gewaltfantasien“ #3 ausgemacht hat und was sich im späteren Werk Bonsels‘ bis zur Unerträglichkeit steigern soll, gipfelnd im 1942 als Handreichung für Nazigrößen veröffentlichten Roman Der Grieche Dositos, in dessen Vorwort der Autor Adolf Hitler preist und das ihm seit jeher verhasste Judentum verdammt. Während des Dritten Reichs wird Bonsels, im Gegensatz zu zahlreichen Kolleg*innen, das Schreiben nicht untersagt, im Gegenteil: er wird in die von Joseph Goebbels gegründete Reichsschrifttumskammer aufgenommen.

Nach dem Krieg mit einem Veröffentlichungsverbot belegt, erkrankt Waldemar Bonsels 1949 schwer und verstirbt schließlich am 31. Juli 1952, von der Öffentlichkeit weitgehend vergessen, in seiner Villa am Starnberger See. Der dreimal verheiratete Vater von fünf Söhnen wird im eigenen Garten beerdigt. Seine begeisterte Verherrlichung des Nationalsozialismus und sein erschütternder Antisemitismus haben nicht verhindert, dass in verschiedenen Städten (so auch in Ahrensburg und in Kiel-Friedrichsort) und teilweise noch zu Lebzeiten Straßen nach ihm benannt werden. „Wäre er nie auf die Ideen mit der Biene gekommen,“ resümiert Ralf Henselle 2005, kurz vor Bonsels‘ 125. Geburtstag, „er wäre als Schönschreiber der Diktatur für immer dem Vergessen anheimgefallen.“ #7

27.5.2021Jens Raschke