Jan Christophersen

Christophersen, Jan

Poetischer Erzähler von der welthaltigen Provinz

Geboren in Flensburg 1974

Lebt bei Kappeln

Nach 14 Tagen hat er meistens genug, dann fährt Jan Christophersen nach dem Urlaub auch gern wieder nach Hause. Zu Hause, das hat mit einem Ort zu tun, dem Norden, mit Flensburg, wo er 1974 geboren wurde, und mit Angeln, wo der Schriftsteller mit Ehefrau Mareike Krügel (ebenfalls Autorin) und den beiden gemeinsamen Kindern schon lange lebt. An der Schlei, da, wo der Himmel weit ist wie im Roman Schneetage (2009) und die Dörfer überschaubar.

Zu Hause hat aber auch mit einem Gefühl zu tun, mit Struktur und Wiederholung. „Ich brauche den Alltag“, sagt Jan Christophersen, „dieses zu mir selbst kommen.“ Da, wo alles bekannt ist, kann sich der Geist entfalten. „Ich war mal zwei Monate in Indien unterwegs“, hat er einmal in einem Interview erzählt, „das war toll, aber auch nicht einfach. Ich habe dort sehr mit meinem Anderssein gerungen.“

Es ist die Spannung zwischen Dasein und Wegwollen, die den Schriftsteller umtreibt. Und die seine Romane tragen. Das war schon im Erstling Schneetage so, der eine Familiengeschichte im deutsch-dänischen Grenzland erzählt. Und die Protagonisten in der Verlorenheit der Schneekatastrophe des Winters 1978/79 gefangen nimmt, eine Zwischenwelt zwischen Ankunft und Aufbruch, in der sich der Kriegsheimkehrer Paul Tamm der Suche nach der mythischen Stadt Rungholt verschreibt und der junge Jannis, der Ich-Erzähler, das Draußen entdeckt. Und die poetisch spröde Sprache, die sich im behäbig breiten Erzählstrom entwickelt, nimmt die Stimmung des Stillstands im norddeutschen Schneewinter auf.

„Stimmung ist das Eigentliche, das liegt mir“, sagt Jan Christophersen über sein Schreiben. Und die leisen Töne, unter denen die Altlasten von Katastrophen und Abgründen lagern. Das war auch in Echo (2014) so, dem zweiten Buch, und zuletzt im Roman Ein anständiger Mensch, der 2019 erschien. Die Geschichte einer Ehe und einer Identität auf der Kippe, aber auch von kleinen Vergehen unter Freunden, die unversehens in die Katastrophe kippt. Und eine dänische Insel, auf der Christophersen gern selbst Urlaub macht, ist dazu die Folie, spiegelt das Dickicht der Gefühle in der Landschaft.

„Ich bin ein langsamer Schreiber“, sagt der Autor und erinnert sich an Echo, den Zweitling, der seine Zeit brauchte, um zu wachsen. Eine Musikergeschichte, die in Flensburg spielt und den Protagonisten quer durch die Welt führt. Zwischen einer, die dageblieben ist, in der Stadt an der dänischen Grenze, und einem, der auszog, mit seiner Gitarre die Welt zu erobern - und nun von Ferne Postkarten nach Hause schreibt. Natürlich war das auch ein Versuch, die eigenen, lang gehegten Musikerambitionen aufzuarbeiten. Gleichzeitig geht es aber auch darum, wohin man gehört. „Ich denke nicht, dass es egal ist, wo man ist“, sagt Jan Christophersen. „Orte prägen. Auch anderswo ist es ja das Vertraute, was man entdeckt.“

Genau dieses Moment interessiert und inspiriert ihn, die Reibung des Bekannten an der Fremdheit, die Differenz, die darin sichtbar wird und den Begriff „Heimat“ mit Inhalt füllt.

Dazu passten die Stipendien, die den Schriftsteller hinausgetrieben haben. In Cismar entstanden die letzten Sätze für „Schneetage“. Im finnischen Tampere war er 2010 der Stadtschreiber, und nach Wales begleitete er Mareike Krügel, die dort ein HALMA-Stipendium erhalten hatte. „Was die Bedingungen zum Schreiben angeht, bin ich immer einfacher geworden“, sagt Jan Christophersen. Früher brauchte er dazu Tee, Kerzen, die gewohnte Schreibmaschine. Mittlerweile gilt es, das Schreiben mit dem Familienalltag zu kombinieren - in Corona-Zeiten war das schon eine Herausforderung. „Mittlerweile schreibe ich, wo ich gerade bin“, sagt er trotzdem. Meist zu Hause im Arbeitszimmer in Rabenkirchen. „Notfalls setze ich mir Kopfhörer auf.“

Christophersen braucht das Fremde nicht, um sich selbst zu inspirieren, aber er braucht die Orte - über die definieren sich seine Figuren. Für den Schriftsteller Steen Friis, der in Ein anständiger Mensch nicht nur mit der eigenen Identität hadert, sondern auch fast seine Ehe verspielt, ist die Landschaft eher ein Abbild seines inneren Aggregatzustands - eine Rolle aber spielt sie immer noch. Die Orte spiegeln sich in Christophersens Texten, mal verfremdet unter falschen Namen wie das Dorf Vidtoft in Schneetage, oder so eindeutig diffus wie die Insel im jüngsten Buch. Und manchmal auch so real wie Esbjerg, wohin Jannis aus Viidtoft aufbricht.

Christophersen hat es damals seinem Helden nachgetan, ist selbst nach Esbjerg gefahren, hat die Straße gesucht, das Haus, das er sich als Schauplatz ausgedacht hatte. Und plötzlich setzte sich die literarische Beschreibung in der Wirklichkeit fort. „Ich mag das, wenn Literatur verortet ist“, sagt er. Bei ihm ist das nicht die Großstadt, die fast immer die Nebenrolle spielt, so wie Friis‘ seltsam unbestimmtes Hamburg. Die Provinz ist Christophersen näher, der Humus für die Mentalität seiner Figuren. „Welthaltig“, sagt der Autor dazu trocken, „kann man ja auch über die Provinz schreiben.“

5.7.2021 Ruth Bender