Robert Habeck

Habeck, Robert

Politiker, Literaturwissenschaftler und vielseitiger Schriftsteller

Geboren in Lübeck am 2. September 1969

Robert Habeck, 1969 in Lübeck geboren und mit Ehefrau und Co-Autorin Andrea Paluch in Flensburg sowie in Berlin lebend, ist ein bemerkenswert vielfältiger Schriftsteller. Als promovierter Germanist und in allen Gattungen ausgewiesener Autor kennt er das Wissenschaftssystem ebenso wie die Welt der Literatur. Seit Dezember 2021 amtiert er als Bundesminister für Wirtschaft und Energie sowie als Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Gegenwärtig ist Habeck vor allem aufgrund seiner politischen Tätigkeiten mit weitreichenden Zielstellungen und realistischen Kompromissfindungsfähigkeiten bekannt. Als Abgeordneter der Grünen zog er 2009 erstmals in den Landtag von Schleswig-Holstein; hier war er Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und Natur (ab 2017 auch für Digitalisierung). Als Bundesvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen führte er gemeinsam mit Annalena Baerbock die Partei in die Bundestagswahl 2021. Nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen ist er Mitglied der ersten rot-grün-gelben Regierungskoalition auf Bundesebene und Stellvertreter des Bundeskanzlers.

Angesichts dieser beeindruckenden politischen Karriere mit entsprechender Medienpräsenz sollte nicht übersehen werden, dass Robert Habeck ein beachtliches wissenschaftliches und literarisches Werk vorzuweisen hat. Zu diesem Oeuvre gehören nicht nur Gedichte, die der erst 21jährige Habeck im Selbstverlag herausbrachte (Das Land in mir. Mit Photographien von Jens Gedamke. Heikendorf 1990), sondern auch Nachdichtungen und Übersetzungen, die er gemeinsam mit Ehefrau Andrea Paluch anfertigte (Ted Hughes, William Butler Yeats, Paul Auster u.a.) Das Autorenduo Habeck und Paluch verfasste zahlreiche Romane, mehrere Jugendbücher, Radio-Sendungen für Kinder sowie ein Drama über die Novemberrevolution 1918 in Kiel. Der Literaturwissenschaftler Habeck ist nicht nur Verfasser von Magisterarbeit und Doktorarbeit (die beide gedruckt wurden), sondern auch Autor einer mehrfach aufgelegten Autobiographie Wer wagt, beginnt (Köln: Kiepenheuer & Witsch 2016, zweite Auflage 2018) sowie von weltanschaulich-politischen Stellungnahmen in Buchform; diese reichen von Werken wie Patriotismus: ein linkes Plädoyer (Gütersloh: Gütersloher Verlags-Haus 2010) bis zur „politischen Skizze“ Von hier an anders (2. Auflage. Köln Kiepenheuer & Witsch, 2021). Dass Habeck auch die kleinen Formen beherrscht, zeigen zahlreiche publizistische Beiträge in Tageszeitungen und Zeitschriften.

Schon der Umfang der literarischen Produktion von Robert Habeck beeindruckt. Ebenso bemerkenswert ist sein früher Start: Noch vor dem Studium in Freiburg/Br. und in Kopenhagen erscheint im gleichen Jahr wie der bereits erwähnte Gedicht-Band Das Land in mir der Roman Traumblind. Ein Gefühl wie Freiheit (Hamburg: Soldi-Verlag 1990). In ihm reisen die Abiturienten Sabeth und Ole, Kalita und Max – ökologisch vorbildlich – mit Interrail-Ticket per Zug durch Europa. Das Credo der Romanfigur Ole klingt programmatisch: „Ich will vier Wochen lang nur grünes Licht sehen, grün gehen, grün denken.“

Noch ist der Verfasser dieses 115 Seiten schmalen Romans kein Politiker; der Eintritt in die Partei Die Grünen erfolgt erst 2002. Habeck studiert nach Zivildienst in Hamburg die Fächerkombination Philosophie und Germanistik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau und in Hamburg sowie ein Semester lang in Roskilde/ Dänemark. Schon in dieser Zeit beweist er seine Fähigkeit, sich auf abgelegenen Feldern einzuarbeiten. Die literaturwissenschaftliche Magisterarbeit schreibt er über Gedichte von Casimir Ulrich Boehlendorff, einem frühzeitig zerrütteten Poeten der klassisch-romantischen Blütezeit um 1800. Habeck unternimmt nicht nur eine stilkritische Untersuchung ausgewählter Werke des nahezu vergessenen Poeten (der selbst Philologen nur noch als Freund und Briefpartner von Friedrich Hölderlin bekannt ist), sondern kann ‚seinem‘ Dichter Boehlendorff einen weiteren Text zuschreiben (Rezension von August Wilhelm und Friedrich Schlegels Charakteristiken und Kritiken in der Erlanger Litteratur-Zeitung vom 28. September 1801). Das universitäre Gesellenstück wird 1997 gedruckt, was nicht allzu häufig vorkommt. #1

Damit hat sich Habeck für die Promotion qualifiziert. Mit einem Stipendium der Hamburger Nachwuchsförderung kann er seine Doktorarbeit schreiben, die u. d. T. Die Natur der Literatur im Jahr 2001 erscheint. Hinter dem vielversprechenden Titel verbirgt sich jedoch keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit literarischen Gestaltungsweisen nicht-zugerichteter Umwelt. Habecks Dissertation widmet sich vielmehr der „gattungstheoretischen Begründung literarischer Ästhetizität“ (so der Nebentitel) und bestimmt seine zentrale Kategorie in spezieller Weise: „‚Natur‘ steht sowohl für einen externen Raum, der in der ästhetischen Anschauung seine utopischen Potentiale entfaltet, wie für die Ganzheit des Ich.“ #2

Nach erfolgreicher Promotion hätte Robert Habeck einen Weg im verstopften deutschen Wissenschaftssystem suchen können. Doch er unternimmt den gewagten Schritt in die Welt der Literatur. Und zwar nicht allein: Gemeinsam mit der gleichfalls literaturwissenschaftlich promovierten Andrea Paluch, die er während des Studiums in Freiburg kennengelernt und 1996 geheiratet hatte, bildet er ein Autoren-Duo, das die Möglichkeiten literarischer Fiktion mit den Risiken freier Autorschaft verbindet. Die enge Beziehung der beiden Schreibenden basiert auf einer stabilen Partnerschaft mit vier Kindern und auf früh erfahrener Kooperation bei der gemeinsamen Übersetzung fremdsprachlicher Autoren. Gemeinsam übertragen Habeck und Paluch bereits in den 1990er Jahren unter anderem die Birthday Letters von Ted Hughes an Sylvia Plath und Gedichte von William Butler Yeats, die unter dem Titel Ein Morgen grünes Gras im Luchterhand Verlag erscheinen. Im Alleingang übersetzt Habeck den prominenten US-amerikanischen Erzähler Paul Auster #3. Der Hamburger Übersetzer-Preis würdigt diese Arbeit.

Nach der Jahrtausendwende ziehen Habeck und Andrea Paluch mit Kindern (insgesamt vier) nach Großenwiehe bei Flensburg und erweitern ihr literarisches Sortiment. Im Vorort und später in der Stadt Flensburg entstehen Romane, Jugendbücher, Rundfunkbeiträge, ein Drama. Die Menge der von Robert Habeck und Andrea Paluch veröffentlichten Bücher ist so groß, dass ihre Titel hier nicht einzeln vorgestellt werden können. Hervorzuheben bleibt der Debüt-Roman Hauke Haiens Tod, der 2001 im renommierten Fischer-Verlag erscheint und die kanonische Novelle Der Schimmelreiter von Theodor Storm fortführt: 15 Jahre nach der Flutkatastrophe, die den Deich-Erbauer Hauke mitsamt seiner Frau Elke in den Tod riss, taucht die vermeintlich ebenfalls umgekommene Tochter Wienke wieder auf. Ob mit dem erzählerischen Anschluss an die Jahrhundertsturmflut an der friesischen Nordseeküste ein Hinweis auf die ökologische Sensibilität des Autoren-Paares verbunden ist, können die Leser des rasanten Melodrams entscheiden; die Literaturkritik war von der Romanidee auf jeden Fall angetan.

Ebenso interessant ist der gemeinsam von Robert Habeck und Andrea Paluch verfasste Roman Der Schrei der Hyänen (2004), der den deutschen Kolonialismus und seine Nachwirkungen thematisiert. Erzählt wird zunächst die Geschichte der jungen Arabella aus Hamburg, die im Jahre 1899 nach Swakopmund, einer kleinen Küstenstadt in Deutsch-Südwestafrika reist und dort in die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den einheimischen Hereros hereingezogen wird. Die sich daran anschließende Familiengeschichte von vier Frauen aus vier Generationen verhandelt große Themen: Gewalt, Schuld, Heimat sowie die Unmöglichkeit, sichere Grenzen der Abstammung zu ziehen. Schon der erste Absatz zeigt die sensible Beobachtung von patriarchalen Machtverhältnissen und daraus resultierender Ungleichheit:

Arabella wurde wach, als Frank aus dem Bett stieg. Sie wachte nie auf, wenn er zu ihr kam, und wurde so meist im Schlaf von ihm überrascht. Doch wenn er aufstand, erwachte sie jedesmal. Ihr Mann war über einen Meter neunzig groß und wog fast zweihundert Pfund. Wenn er sich zwischen den Hererohirten bewegte, sah es so aus, als striegelte sein blonder Bart ihre Köpfe.

Robert Habeck, Andrea Paluch: Der Schrei der Hyänen. München: Piper 2004, S. 5.

Schließlich ist noch das gemeinsam verfasste Drama Neunzehnachtzehn zu erwähnen, das den Matrosenaufstand in Kiel thematisiert und im Dezember 2008 am Theater der Landeshauptstadt uraufgeführt wurde (1918. Revolution in Kiel. Boyens Buchverlag 2009). Dieses Theaterstück ist nicht nur deshalb erhellend, weil hier verschiedene Positionen zur Veränderbarkeit der Welt vorgeführt werden: Neben dem älteren Sozialdemokraten Thomas Hinrichsen („Vorsitzender des Arbeiterrates. Mehrheitssozialdemokrat.“) gibt es das junge USPD-Mitglied Fritz Kemp, der zum Generalstreik aufruft und sich vorstellt: „Maschinenbauer auf der Germania-Werft. Gefreiter der Matrosendivision. Jetzt Torpedodivision und Spezialist auf der Torpedowerft in der Wik. Letztes Jahr wegen revolutionärer Tätigkeit unter den Matrosen und Werftarbeitern zu sechs Monaten Festungshaft in Oberschlesien verurteilt.“  – Aufschlussreich ist dieses Revolutionsdrama auch deshalb, weil hier jener Gustav Noske auftritt, der als Reichstags­abgeordneter der SPD nach Kiel geschickt wurde, um die Lage zu beruhigen und ein Übergreifen der Revolution auf das Reichsgebiet zu verhindern. Bekanntlich gelang es nicht; nach Rücktritt des Kaisers und Ausrufung der Republik wurde Noske Volksbeauftragter für Heer und Marine und organisierte die Niederschlagung des Spartakusaufstands im Januar 1919 (mitsamt Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht). Der historisch umstrittene Noske – dessen Beiname „Bluthund“ mehrfach aufgerufen wird – erscheint im Stück von Habeck und Andrea Paluch als nachdenklicher Vertreter pragmatischer Realpolitik: „Ich bin jetzt fünfzig. Mir fehlt der Glaube, dass man einfach nur zwei, drei Hebel umlegen muss, um die Welt besser zu machen. Dafür ist das alles zu kompliziert.“ Zugleich wird gezeigt, welche Folgen die Erlangung politischer Macht haben kann, wenn der gelernte Korbmacher und Reichstagsabgeordnete Noske dem Maschinenbauer Fritz erklärt:

Es ist merkwürdig, aber wenn man Verantwortung übernimmt, dann verändert das die Persönlichkeit. Man tut Dinge, die man zuvor ausgeschlossen hat. Ich hab das schon beim Kriegseintritt erlebt, als wir die Hand für die Gelder hoben. Es schien uns verantwortungsvoll. […] Ich war immer gegen den Krieg. Aber wenn man Verantwortung hat, und Dir einer sagt, wenn du nicht zustimmst, dann kriegen unsere Soldaten keine Gasmaske und verrecken beim nächsten Angriff, dann erhöhst due auf einmal das Militärbudget, ohne es zu wollen. [...] Und wenn ich nun Freiheit gegen Sicherheit abwiegen muss, dann weiss ich, dass ich die Sicherheit wählen muss, um die Freiheit zu schützen. Weil ich meine Ideale nur so vor größerem Schaden bewahren kann. Und selbst ein Krieg ist vorstellbar, um den Frieden zu retten. Wie würdest du denn entscheiden, wenn du ein paar Menschenleben opfern müsstest, um die vielen Unschuldigen zu schützen?

Robert Habeck, Andrea Paluch: 1918. Revolution in Kiel. Heide: Boyens Buchverlag 2009, S. 121f.

Als der junge Heißsporn Fritz die „freie Republik Kiel“ sowie das „freie, sozialistische Schleswig-Holstein“ ausruft und für den Vorsitz des Soldatenrates kandidiert, erklärt der ältere Sozialdemokrat Noske: „Wählt nicht das Chaos! Wählt nicht die Unvorsicht! Wählt nicht den Bürgerkrieg, in dem Nachbar auf Nachbar und Deutscher auf Deutschen schießt! [...] Wählt einen wahren Frieden! Wählt eine neue Ordnung. Wählt Brot und Arbeit. Wählt also mich.“ (S. 128) – Klar, was dann passiert. Die Wahl Noskes und seine anschließenden Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung beenden die Revolution in Kiel. Im Drama erscheinen sie als gerechtfertigte Varianten realistischer Politik, während der fundamentale Veränderungswillen mit Tod und Gewalt verbunden ist (die sich sogar gegen die geliebte Frau Luise richtet).

Angesichts dieser Fülle von literarischen Produktionen mit thematischer Vielfalt in diversen Gattungen stellt sich die Frage: Wie schafft dieser Autor beziehungsweise dieses Autoren-Duo dieses Pensum? Zumal die erstaunlich vielseitige Text-Verfertigung des Duos mit der politischen Karriere des Mannes nicht endet: Im Jahr 2020 –  Habeck ist Partei-Co-Vorsitzender und bereitet den Bundestagswahlkampf vor – erscheinen „Vorlesegeschichten für jeden Tag“ unter dem Titel Kleine Helden, große Abenteuer (Hamburg: Edel Kids Books); zuvor wurden die Jugendromane Ruf der Wölfe und Flug der Falken (erstmals 2001 und 2009) in modernisierten Neuausgaben zugänglich gemacht. Ebenso vielseitig ist der Output des Solo-Schriftstellers Habeck, der neben buchförmigen Statements auch im Tagesgeschäft der periodischen Publizistik punktet, so in der tageszeitung (exemplarisch Bissen für Bissen. In: taz vom 30.09.3017, S. 3 „Linksliberale stemmen sich seit jeher dagegen, die Leute im Gefühl zu erreichen. Wir sind die Vernünftigen. Aber Vernunft kann eben auch schnell zu verkopft wirken“.)

Schließlich bleibt zu fragen, welche Kompetenzen der philologisch ausgebildete und literarisch versierte Autor Habeck in seine neue Tätigkeit als Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler einbringen wird. Auf jeden Fall hat er Phantasie. Und die kann man nach Zeiten von deklarierter Alternativlosigkeit immer gut gebrauchen.

16.12.2021 Ralf Klausnitzer

ANMERKUNGEN

1 Robert Habeck: Casimir Ulrich Boehlendorffs Gedichte: eine stilkritische Untersuchung. Würzburg: Königshausen und Neumann 1997.

2 Robert Habeck: Die Natur der Literatur: zur gattungstheoretischen Begründung literarischer Ästhetizität. Dissertation Universität Hamburg 2000. Würzburg: Königshausen und Neumann 2001, S. 8.

3 Mit Fremden sprechen. Ausgewählte Essays und andre Schriften aus 50 Jahren. Herausgegeben von Laurenz Bolliger. Übersetzt von Werner Schmitz, Marion Sattler Charnitzky, Robert Habeck, Alexander von Pechmann. Hamburg: Rowohlt Verlag 2020.