Friedrich Hebbel

Hebbel, Christian Friedrich; Pseudonym(e): Dr. J. F. Franz.

Geboren in Wesselburen am 18. März 1813
Gestorben in Wien am 12. Dezember 1863

Das Werk Friedrich Hebbels ist einer der bedeutendsten Beiträge Schleswig-Holsteins zur Weltliteratur. Seine Biographie in Stichworten: Am 18. März 1813 als Sohn eines verarmten Handwerkers in Wesselburen geboren, 1835 mithilfe privater Förderer nach Hamburg übergesiedelt, von wo aus er nach Heidelberg und München zum Studium geht, ohne es je abzuschließen, in äußerster Armut nur von der Unterstützung seiner Hamburger Freundin Elise Lensing lebend, zu der er 1839 zurückkehrt. 1840 bekannt geworden durch sein Erstlingsdrama Judith, das ihm aber immer noch keine Lebensgrundlage verschafft, 1843 mit einem Reisestipendium des dänischen Königs nach Paris, 1844 nach Rom gekommen. Obwohl er in Paris das bürgerliche Trauerspiel Maria Magdalena geschrieben hat, mit dem er endgültig in die Weltliteratur eingeht, kommt er 1845 pleite, abgerissen und unterernährt nach Deutschland zurück, genauer gesagt nach Wien, wo sich sein Schicksal plötzlich und unerwartet wendet, wo er begeisterte Anhänger findet und in der Burgschauspielerin Christine Enghaus eine Ehefrau, die ihm eine bürgerlich gesicherte Existenz für die letzten 18 Lebensjahre ermöglicht, in denen er Dramen wie Herodes und Mariamne, Agnes Bernauer, Gyges und sein Ring und die Nibelungen-Trilogie schreibt. Insbesondere das letztere, seine Bearbeitung des Nibelungen-Stoffs, ist endlich der große Erfolg, auf den er so lange hat warten müssen, aber der Ruhm kommt zu spät, er trifft den Dichter erst auf dem Totenbett. Die jahrelange Unterernährung fordert ihren Preis, Hebbel stirbt am 13. Dezember 1863 an den Folgen von Osteoporose (Knochenerweichung), einer typischen Mangelerkrankung.

Hebbel war einer der großen deutschen Autoren zwischen Klassik und Moderne. „Alles Leben ist Kampf des Individuellen mit dem Universum“ – das war die Erfahrung, die er in seinem Leben machte, und der Grundkonflikt, den er in seinen Dramen gestaltete. Doch er war mehr als nur Dramatiker. Er schuf berühmte Gedichte wie das Sommerbild und das Nachtlied oder Balladen wie den Haideknaben. Sein Versepos Mutter und Kind beschäftigt sich mit dem Thema Leihmutterschaft. Seine Erzählung Die Kuh gilt als eine der ersten deutschen Kurzgeschichten. Seine Tagebücher, von 1835 bis 1863 geführt, sind eines der Gründungswerke der literarischen Moderne in Deutschland. Gerade für die Autoren der klassischen Moderne war er ein großes Vorbild: Von Franz Kafka bis Hugo von Hofmannsthal, von Gottfried Benn bis Hans Erich Nossack zieht sich seine Spur durch die Literaturgeschichte.

Wesselburen, die Kleinstadt an der schleswig-holsteinischen Westküste, nennt sich heute mit Stolz „Hebbel-Stadt“ und beherbergt das schon 1911 gegründete Hebbel-Museum, in dem seit 1926 die Hebbel-Gesellschaft ihren Sitz hat. Doch das Verhältnis Hebbels zu seinem Heimatort war beileibe nicht immer so harmonisch. Ein durch Armut verbitterter Vater misshandelte seine Kinder physisch und psychisch und hinterließ im Gemüt seines Sohnes Wunden, die nie verheilten. Der Kirchspielvogt Johann Jakob Mohr, bei dem Hebbel acht Jahre lang als Schreiber lebte und arbeitete, behandelte ihn nur als Dienstboten und tat nichts für sein Weiterkommen, wie er gehofft hatte. Hebbel war auf sich allein gestellt und sah sich im Kampf gegen die ganze Welt. Kein Wunder, dass er hart wurde und nur mit Bitterkeit an seine Wesselburener Jugend zurückdachte:

Nach Dithmarschen gehe ich übrigens auf keinen Fall. […] Lebte meine Mutter noch, so wäre es ein anders Ding; unter den jetzigen Umständen ist es gewiß keine verächtliche Regung, wenn ich den Ort, wo ich so viel Unwürdiges erdulden mußte, nur in einer solchen Gestalt wieder zu betreten wünsche, welche den Respect erzwingt, d. h. als ein anerkannter und der ihm beschiedenen Sphäre hochachtungswerther Schriftsteller…

Friedrich Hebbel: Briefwechsel 1829–1863. Historisch-kritische Ausgabe in fünf Bänden. Wesselburener Ausgabe. Hg. von Otfrid Ehrismann, U. Henry Gerlach, Günter Häntzschel, Hermann Knebel, Hargen Thomsen. München: Iudicium 1999, Bd. 1, S. 276.

So schreibt Hebbel am 12. Dezember 1838 an seine Hamburger Freundin Elise Lensing. Im selben Brief ist sogar von der „Dithmarsischen Sclaverei“ #1 die Rede, der er entkommen sei. In einem Satz werden die ersten 22 Lebensjahre, die er im norddeutschen Marktflecken Wesselburen verbrachte, auf ebenso prägnante wie bittere Weise zusammengefasst: „Meine Jugendzeit war nur ein langer Winter, ich wußte von Freude Nichts, aber von Sorge und Kummer viel“. #2 Dieses Kindheitstrauma konnte er auch später, als er längst ein „hochachtungswerther Schriftsteller“ geworden war, nicht abschütteln und brachte es selbst in seinen letzten Lebensjahren nicht über sich, nach Dithmarschen zurückzukehren, wo er „als Gespenst herum zu gehen fürchte“. #3 Als er im Oktober 1861 seinen Bruder besuchte, der als einfacher Landarbeiter in einem holsteinischen Dorf lebte, in einer Kate, die große Ähnlichkeit mit dem Haus seiner Eltern hatte, floh er fast entsetzt aus dem Land:

Nun habe ich Holstein bereits im Rücken; ich war gestern in Rendsburg und sah meinen Bruder, seit zwanzig Jahren zum ersten Mal! Weiter gehe ich nicht hinein und mache über den Ort, wo meine Wiege stand, jetzt für immer ein Kreuz; ich würde fast nur noch Gräber treffen, und allenfalls hie und da einen Maul-Affen!

Friedrich Hebbel: Briefwechsel 1829–1863. Historisch-kritische Ausgabe in fünf Bänden. Wesselburener Ausgabe. Hg. von Otfrid Ehrismann, U. Henry Gerlach, Günter Häntzschel, Hermann Knebel, Hargen Thomsen. München: Iudicium 1999, Bd. 4, S. 259.

Außer traumatischen Erinnerungen schien seine Heimat nichts für ihn bereit zu halten, und so verwundert es nicht, dass sein Werk kaum Spuren der Beschäftigung mit ihr zeigt. In dieser Hinsicht war seine dichterische Vorgehensweise eine völlig andere als die seiner Landsleute und Generationsgenossen Theodor Storm (1817-1888) und Klaus Groth (1819-1899), von denen der eine seine Vaterstadt Husum zur unerschöpflichen Inspirationsquelle und Handlungskulisse seiner Novellen machte, während der andere Dithmarschen in ein poetisches Traumland verwandelte, ein verlorenes Kindheitsparadies, das in sehnsuchtsvollen niederdeutschen Versen beschworen wurde. Hebbels Dramen dagegen führen in die biblisch-mythische Vorzeit (Judith), die griechisch-römische Antike (Herodes und Mariamne, Gyges und sein Ring), das germanisch-deutsche Mittelalter (Agnes Bernauer, Die Nibelungen) oder die Welt der Mythen und Legenden (Genoveva, Moloch). Allenfalls für das bürgerliche Trauerspiel Maria Magdalena mag man sich eine norddeutsche Kleinstadt wie Wesselburen als Handlungsort vorstellen können. Aber auch hier sind sämtliche Lokalbezüge konsequent fortgelassen, ist die Szenerie von allen persönlichen Reminiszenzen sorgfältig gereinigt. Hebbel baut seine poetische Welt nicht aus Erinnerungen an die Heimat, sondern aus Gefühlen, Erfahrungen und Reflexionen, denen das Persönliche und Private konsequent abgebeizt wurde, in Kulissen, die die gesamte abendländische Kulturgeschichte ihm zur Verfügung stellt.

Dass der Bruch mit der Heimat aber doch nicht so heillos war, wie er hier erscheinen mag, beweist schon die Tatsache, dass er bis zum Ende seines Lebens als dänischer Staatsbürger in Wien lebte (Schleswig-Holstein war bis 1864 dänisch) und seine norddeutsche Herkunft immer gern betonte, umso mehr, als ihm das lockere Wiener Wesen auf die Nerven ging. Im Freundeskreis kehrte er gern den Norddeutschen heraus und rühmte sich, die Nibelungen mit einem „gut Dithmarsisch-Holsteinischen Arm“ #4 bearbeitet zu haben. Zwar vermied er politische Äußerungen zur Schleswig-Holsteinischen Erhebung 1848-1850, denn er sah sich in der Schuld des dänischen Königshauses, das ihm ja das Reisestipendium gewährt hatte, ohne das er gar nicht erst nach Wien gekommen wäre. Doch als er in der Öffentlichkeit bekannter wurde und die ersten Anfragen wegen biographischer Notizen bei ihm eingingen, begann er stets mit seiner dithmarsischen Herkunft und erinnerte zunächst an die Schlacht bei Hemmingstedt 1500, wo die Dithmarscher eine gewaltige dänische Übermacht besiegt hatten, um daraus den Volks- und auch seinen Charakter abzuleiten:

Ich läugne nicht, ich bilde mir auf meinen Volksstamm etwas ein, und habe Nichts dagegen einzuwenden, wenn manche Kritiker in meinem schriftstellerischen Character seine Fehler, wie seine Tugenden wieder zu erkennen glaubten, ich glaube sogar, daß diese Bemerkung Grund hat. Jedenfalls blieb ich lange genug in dem Lande, um mich von allen seinen Elementen durchdringen zu lassen und die Geschichte ist dort noch lebendig, die Vorzeit spricht schon aus dem Munde der Amme zum Kinde und auch der Vater nimmt den Sohn gerne auf’s Knie und erzählt ihm von den Schlägen, die die Dänen bekommen haben.

Friedrich Hebbel: Briefwechsel 1829–1863. Historisch-kritische Ausgabe in fünf Bänden. Wesselburener Ausgabe. Hg. von Otfrid Ehrismann, U. Henry Gerlach, Günter Häntzschel, Hermann Knebel, Hargen Thomsen. München: Iudicium 1999, Bd. 2, S. 548.

Im selben Brief geht er so weit zu behaupten, dass er seit seinem 22. Jahr – also seit er Wesselburen verließ – „nicht eine einzige wirklich neue Idee gewonnen“ hätte #5, dass es also eigentlich die Heimat war, die ihn zu dem gemacht hat, als der er in die deutsche und in die Weltliteratur eingegangen ist. Im gleichen Jahr entsteht die Ballade Ein Dithmarsischer Bauer, die in 22 achtzeiligen Strophen ein idealisiertes Bild seiner Heimat zeichnet und damit eine, wenn schon nicht persönliche, so doch dichterische Heimkehr bedeutet.

6.5.2021 Hargen Thomsen

ANMERKUNGEN

1 Friedrich Hebbel: Briefwechsel 1829–1863. Historisch-kritische Ausgabe in fünf Bänden. Wesselburener Ausgabe. Hg. von Otfrid Ehrismann, U. Henry Gerlach, Günter Häntzschel, Hermann Knebel, Hargen Thomsen. München: Iudicium 1999, Bd. 1, S. 275.

2 Ebd., Bd. 1, S. 271.

3 Ebd., Bd. 4, S. 535.

4 Ebd., Bd. 4, S. 328.

5 Ebd., Bd. 2, S. 549.