Henrich Steffens
Steffens, Henrich
Norwegisch-deutscher Philosoph, Naturforscher, Hochschullehrer und Dichter
Geboren in Stavanger (Norwegen) am 2. Mai 1773
Gestorben in Berlin am 13. Februar 1845
Eine zeitgenössische biographische Skizze bringt die Beziehung des Philosophen, Forschers und Dichters Henrich Steffens zu Kiel ziemlich knapp auf den Punkt:
Auf einer Reise nach Deutschland begriffen, warf ihn ein Schiffbruch an die Ufer der Elbe. Unter mancherlei Widerwärtigkeiten verlebte er den Winter 1794 bis 1795 in Hamburg und ging dann nach Kiel, wo er den philosophischen Doktorgrad erwarb und Vorlesungen hielt.
Was sich wie eine Nebensächlichkeit liest, verdient bei näherem Hinsehen allerdings zumindest ein hohes Maß an Respekt; schließlich ist Steffens erst 23 Jahre alt, als er in Kiel eine (wenn auch nur kurze) Dozentur in den Naturwissenschaften antritt – und das neben seinem eigenen Studium. Die Wahl Kiels mag vielleicht seinen eigenen schleswig-holsteinischen Wurzeln geschuldet sein, über die sein späterer Biograf Willi A. Koch folgendes zu berichten weiß:
Wenn man auf dem rechten Ufer der Elbe, an jener Stelle, wo ihre Mündung sich zum Meere weitet, von Brunsbüttelkoog aus zwei Stunden ostwärts durch Heiden und Marschen wandert, kommt man in das kleine Städtchen Wilster. Darin lebte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts der ehr- und achtbare Bürger und Branntweinbrenner H[e]nrich Steffens. Der hatte das Unglück, daß sein Vater ein reicher Kaufmann in derselben Stadt gewesen, dem man einstens sein Silbergerät körbeweis aus dem Hause weggetragen hatte, weil er trotz seines Reichtums bankrott gemacht. Der einzige Sohn dieses verarmten Kaufmanns hatte daraufhin in der Heimatstadt keinerlei Zukunft mehr für sich ersehen können und war […] nach der holländischen Kolonie Surinam ausgewandert. Dort brachte er es zwar zu Arbeit und Verdienst und nach einiger Zeit auch zu dem Ehebunde mit der holländischen Mejuffrouw van Leuwen; aber der Halt in dem heißen Lande Südamerikas war nicht fest. Der bald eingetretene Tod der Frau und die Sehnsucht nach Holstein bewogen ihn, noch ehe es ihm gelungen, ein wirkliches Vermögen zu erwerben, mit seinem Sohn H[e]nrich wieder nach Wilster zurückzukehren. Dort widmete er sich dann der ehrenwerten und achtbaren Hantierung der Branntweinbrennerei.
Sohn Henrich erlernt das Handwerk des Barbiers und Chirurgen und steigt zum Kompaniearzt der in Holstein stationierten dänischen Truppen auf, geht nach seiner Entlassung nach Kopenhagen, heiratet die Tochter des Gutsbesitzers Bang und zeugt mit ihr im Laufe der Jahre sechs Kinder, von denen zunächst nur fünf überleben. Steffens wird als Bezirksarzt ins norwegische Stavanger versetzt, wo das Ehepaar schließlich, am 2. Mai 1773, seinen zweiten Sohn bekommt.
Die Eltern nannten ihn Henrich; so hieß der Vater, der an der Wiege stand; so hieß des Vaters Vater, der aus Surinam nach Wilster heimgekehrt war, und so hatte auch der Urgroßvater geheißen, der Kaufmann und reich gewesen war. Jetzt wurde wiederum ein Abkömmling der Familie Steffens auf den Namen Henrich getauft; und der sollte einmal den Namen berühmt machen.
Henrich Steffens entwickelt bereits in Jugendjahren ein reges Interesse an den Naturwissenschaften, bereist sein Geburtsland Norwegen und nimmt in Kopenhagen das Studium auf. Schon früh reizt es ihn, nach Deutschland zu gehen, das Land der Dichter, Denker, Stürmer und Dränger, und so beschließt er im Sommer 1795, seine Universitätsausbildung in Kiel fortzusetzen. Im dritten Band seiner Memoiren beschreibt er seinen ersten Besuch in der Stadt und die damit verbundenen Vorahnungen und Ängste:
Ich hatte die Nacht in einer Schänke auf der Landstraße zugebracht, wollte einige Stunden in Kiel bleiben, um den Ort meiner zukünftigen Thätigkeit in Augenschein zu nehmen. Damals glaubte ich, wenige Wochen später auf immer in dieser Stadt meinen Aufenthalt finden zu können.
Es war ein schöner Sommermorgen, die reizende Gegend entzückte mich. Ich durchschritt die Hauptstraßen der Stadt, besuchte den Schloßgarten und sah zum ersten Male Deutsche Studenten, die mit ihren Maßen von einem Hörsaale in den anderen eilten. Ich kehrte nirgends ein, ich sprach mit keinem Menschen. Wie eine räthselhafte, verschlossene Zukunft lag die Stadt mit ihren Einwohnern vor mir, schicksalschwanger, ahnungsvoll. Ich verließ die Stadt […].
Als Steffens im Februar 1796 sein Studium aufnimmt und zum zweiten Mal nach Kiel kommt, hat sich sein Gefühl gegenüber der Stadt nicht sonderlich gewandelt:
Ich kam nach Kiel mit den eifrigsten Vorsätzen, eine jede Stunde zu benutzen; doch war ich nicht ohne Sorgen. Ich war dort keinem Menschen bekannt, hatte keinen bestimmten Begriff von der Art meiner künftigen Thätigkeit. So will ich bekennen, daß, als ich zu Fuß wandernd, an einem heiteren Winterabende Kiel vor mir liegen sah, eine innere Angst mich ergriff. Diese Stadt, dacht ich mir, schließt alle die Verhältnisse in sich, aus welchen dein zukünftiges Schicksal entspringen soll. […]
Steffens darf aufgrund seiner bisherigen akademischen Veröffentlichungen sogleich als Dozent arbeiten, was ihm ein sorgenfreies Studentenleben bereitet und seine Stimmung merklich aufhellt. Eine gewisse berufliche Ernüchterung tritt allerdings schon bald ein:
Der Zustand der Kieler Universität war nicht der beste. Zwar besaß sie Lehrer von Bedeutung auch in meinem Fache. […] Aber bedeutende Lücken zeigten sich auch. Ein Lehrer in der Physik und Chemie war damals nicht da; die Mineralogie ward nur als Nebenfache in den Vorträgen über die allgemeine Naturgeschichte […] behandelt, und selbst mit der Zoologie sah es übel aus.
Noch während seines Studiums in Kiel stirbt Henrich Steffens‘ Vater, der im benachbarten Rendsburg als Regimentsarzt tätig ist. Der Sohn kann sich persönlich von seinem Vater verabschieden.
Nach der Promotion in Kiel lässt sich Henrich Steffens nicht viel Zeit und verabschiedet sich in Richtung Universität Jena, von dort 1800 an die Bergakademie Freiberg, wo er sich mineralogischen Studien widmet. Eine Vorlesungsreihe an der Universität Kopenhagen bringt 1802/03 nicht die erhoffte Professur mit sich, so dass er 1804 dem Ruf an die naturwissenschaftliche Fakultät der Friedrichs-Universität Halle folgt. Hier entsteht in den kommenden Jahren sein erstes großes Werk: Grundzüge der philosophischen Naturwissenschaften (Erstdruck 1806).
1811 geht er an die neue Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität Breslau, meldet sich jedoch 1813 freiwillig zum Kriegsdienst und beteiligt sich an den Befreiungskriegen Preußens gegen die französische Vorherrschaft unter Napoleon. Auch bei der Völkerschlacht bei Leipzig und der Einnahme von Paris ist Steffens zugegen. (Hier sei angemerkt, dass sich Steffens unbeirrt gegen die überzogenen deutschnationalen Strömungen seiner Zeit stellt, wie sie etwa in der Bewegung des „Turnvaters“ Friedrich Wilhelm Jahn manifestieren.)
Im Anschluss nimmt er seine Lehrtätigkeit in Breslau wieder auf und wird 1821/22 sowie 1829/30 zum Universitätsrektor ernannt. Mit der Berufung an die Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, wo unter anderen Karl Marx und Søren Kierkegaard zu seinen Studenten gehören, geht 1832 ein langgehegter akademischer Wunschtraum Steffens‘ in Erfüllung.
Am 13. Februar 1845 stirbt Henrich Steffens in Berlin. Neben zahlreichen naturwissenschaftlichen und philosophischen Schriften hinterlässt er ein umfangreiches autobiografisches und dichterisches Werk, zu dem die Novellensammlungen Die Familien Walseth und Leith (1827), Die vier Norweger (1828) und Malkolm (1831) zählen.
21.5.2021 Jens Raschke
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ORTE
WERKE
• Über die Idee der Universitäten. Vorlesungen. Berlin: Realschulbuchhandlung 1809.
• Die gegenwärtige Zeit und wie sie geworden mit besonderer Rücksicht auf Deutschland. 2 Bände. Berlin: Reimer 1817.
• Über die elektrischen Fische. Der medicinischen Facultät der Universität zu Kiel gewidmet. Frankfurt am Main: Hermannsche Buchhandlung 1818.
• Die gute Sache. Eine Aufforderung zu sagen, was sie sei, an alle, die es zu wissen meinen, veranlaßt durch des Verfassers letzte Begegnisse in Berlin. Leipzig: Brockhaus 1819.
• mit Fr. H. von der Hagen und E.T.A. Hoffmann: Geschichten, Sagen und Mährchen. Breslau: Josef Max 1823.
• Die Familien Walseth und Leith. Ein Cyklus von Novellen. 5 Bde. Breslau: Josef Max 1827.
• Die vier Norweger. Ein Cyclus von Novellen. 6 Bde. Breslau: Josef Max 1828.
• Novellen. Gesammt-Ausgabe. 16 Bde. Breslau: Josef Max 1837-38.
• Was ich erlebte. Aus der Erinnerung niedergeschrieben. 10 Bde. Breslau: Josef Max 1840-44.
• Nachgelassene Schriften. Mit einem Vorworte von Schelling. Berlin: Schroeder 1846.