Ernst von Salomon
Salomon, Ernst Friedrich Karl von
Nationalrevolutionär und Schriftsteller
Geboren in Kiel am 25. September 1902
Gestorben in Stöckte (Niedersachsen) am 9. August 1972
Ernst von Salomon ist ein politisch schwer zu kategorisierender Schriftsteller und Aktivist, dessen Lebensweg mehrfach mit Schleswig-Holstein verbunden ist. Biographie und literarisches Werk sind bei ihm unmöglich voneinander zu trennen: Immer wieder hat er (mit unterschiedlichen Graden der fiktionalen Verfremdung) über sein eigenes Leben geschrieben, und insbesondere sein bekanntestes Werk Der Fragebogen ist eine kunstvoll gebaute und durchaus „literarische“, aber dennoch eindeutig auf die reale Person Salomons bezogene Autobiografie.
Ernst Friedrich Karl von Salomon wurde 1902 in Kiel geboren. Obwohl die Familie schon sieben Jahre später nach Frankfurt am Main weiterzog, würdigt er die Stadt im Fragebogen recht ausführlich:
Etwa 100 000 Menschen wohnten damals zu beiden Seiten der Bucht, welche die Ostsee tief in das Land hineinsendet; sie wohnten am südwestlichen Ende der Bucht, auch Förde genannt, ziemlich massiert, in den kleinen, schmalen, altertümlichen Häusern der eigentlichen Altstadt und in noch ziemlich neuen und ziemlich scheußlichen Mietskasernen eines Stadtteiles, welcher Gaarden heißt. Rund um den Kern der Altstadt lockert sich das Stadtbild, insbesondere auf dem nördlichen Ufer der Förde, wo sich in einem Ortsteil, Düsternbrook genannt, die immer zahlreicher werdenden Leute von einiger Wohlhabenheit in hübschen Landhäusern, jedes vom anderen vornehm durch einen Garten oder Park getrennt, ansiedelten.
Auf die allgemeine folgt die individuelle geografische (und damit soziale) Einordnung:
Ich bin nicht in jenem sozusagen besseren Viertel geboren, sondern im Norden des Stadtkernes, noch jenseits des Binnensees, welcher sich „Der kleine Kiel“ nennt, aber dicht an einem öffentlichen Parke, dem „Hohenzollernpark“, der ebenfalls mit einem stattlichen Weiher geschmückt war, in dem Hause Jahnstraße 14, im dritten Stockwerk dieses Hauses, eines der typischen Mietswohnhäuser jener Gegend und jener Zeit.
Über den „Jahrgang 1902“, dem auch Ernst von Salomon angehört, hat Ernst Glaeser 1928 einen seinerzeit sehr erfolgreichen Roman geschrieben: Die in diesem Jahr Geborenen waren zu jung, um am Ersten Weltkrieg teilzunehmen, erlebten dafür aber umso intensiver die Desillusionierung nach Ende des Kriegs. Für Salomon, der den Roman nicht mochte, gilt das in besonderem Maße: Obwohl der Krieg vorbei war, konnte er dem Soldatischen nicht entkommen. Sein Vater, ein ehemaliger Offizier, hatte den Jungen 1913 in eine Kadettenanstalt gesteckt, wo er mit scharfem Drill auf eine militärische Karriere vorbereitet wurde – er hat seine Erlebnisse später zu dem Roman Die Kadetten (1933) verarbeitet. Als er 1918 sein Abitur ablegt, ist diese Karriere jedoch in weite Ferne gerückt. Stattdessen schließt sich der junge, zutiefst soldatisch geprägte Abiturient einem der zahlreichen Freikorps an und ist 1919 an der Niederschlagung des Spartakus-Aufstands in Berlin beteiligt. Nach einem Einsatz seines Freikorps im Baltikum wird er Teil der „Brigade Ehrhardt“, einer zunächst noch legalen paramilitärischen Gruppierung, die nach der Auflösung der Freikorps 1920 in den Untergrund geht und als „Organisation Consul“ (OC) weiterbesteht. Mit anderen Mitgliedern der rechtsradikalen Organisation ist er 1922 an der Ermordung Walter Rathenaus beteiligt – Ziel der Verschwörer ist es, die verhasste und instabile Weimarer Republik durch derartige Terrorakte in einen Bürgerkrieg zu treiben. Salomon wird schnell gefasst und als an der Tatvorbereitung Beteiligter zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. Später folgt eine weitere Verurteilung wegen eines Mordversuchs an einem OC-Mitglied, doch schon 1927 wird Salomon aufgrund einer Amnestie auf Bewährung entlassen. Nun beginnt seine Karriere als Schreiber, zunächst mit journalistischen Texten für diverse Zeitungen und Zeitschriften, die oft auf seiner eigenen Beteiligung am Rathenaumord basieren. Dies wird auch das Thema seines ersten Romans: Die Geächteten, 1930 bei Rowohlt erschienen, schildert in sprachlich brillanter und politisch provokant-unverblümter Weise seinen Werdegang vom Kadetten zum Attentäter.
Bevor Salomon jedoch als Romancier durchstartete, führte ihn sein Weg zurück nach Schleswig-Holstein – zunächst direkt nach der Haft in ein Sanatorium nach Preetz und anschließend zu neuer politischer Tätigkeit. In der holsteinischen Marsch hatten in den späten 1920er Jahren die Bauern gegen die Staatsmacht zu rebellieren begonnen – ein Ereignis, das später auch der mit Salomon befreundete Hans Fallada in seinem Roman Bauern, Bonzen und Bomben (1931, ebenfalls bei Rowohlt) thematisieren würde. Salomon hatte für die von seinem Bruder Bruno geleitete Zeitschrift Deutsche Front über die Bewegung berichtet, was wiederum von den Bauern und ihrem Anführer Claus Heim zur Kenntnis genommen wurde:
Ich befand mich just in meiner Redaktion, einem kleinen Bretterverschlag neben dem Setzersaal der Druckerei, als ein großer, breitschultriger Mann in schwarzem Anzug, einen runden steifen Hut auf dem Kopf, den Raum betrat, mit schweren Schritten auf den Tisch zuging, die letzte Nummer der „Deutschen Front“ auf den Tisch legte, mit einem klobigen Zeigefinger auf meinen Artikel wies und mit deutlich niedersächsischem Akzent fragte: „Wer hat dat schrewen?“
Ich hatte dabei Gelegenheit, die ungewöhnlich massiven Fäuste des Besuchers zu betrachten, und begab mich ein wenig in den Hintergrund des Raumes, um dort in einigen Druckfahnen zu blättern. Auch mein Bruder starrte auf die Hände, die nun mit gewichtigen Knöcheln auf der Tischplatte ruhten, er warf einen schnellen Blick zu mir hinüber, ermannte sich aber und erwiderte mit der Entschlossenheit brüderlicher Zuneigung: „Ich!“
Da krachte die geballte Faust des Mannes auf den Tisch und er rief mit kaum gebändigter Erregung: „Dat is dat einzig Vernünftige, wat über unsern Landvolkkampf bisher geschrieben wurde!“
Bruno und Ernst von Salomon gehen nach Itzehoe, um im Auftrag der Bauern die Zeitschrift Das Landvolk herauszugeben. Damit begeben sie sich in direkte Konkurrenz zu Bodo Uhse, der in der Stadt eine nationalsozialistische Tageszeitung leitet (und in seinem Roman Söldner und Soldat später ebenfalls über diese Zeit geschrieben hat). Als Uhse sich vom Nationalsozialismus ab- und dem Kommunismus zuwendet, findet zwischen ihm und Bruno von Salomon eine Annäherung statt; beide werden später gemeinsam nach Paris ins Exil gehen. Den Start des Landvolks beschreibt Ernst von Salomon als durchaus holprig:
Mein Bruder und ich fanden in Itzehoe eine bankrott gegangene Druckerei vor, in einem alten, baufälligen Hause mit einer kaputten Setzmaschine, einer intakten Handpresse und einem Haufen von Kästen, in denen die Lettern wild zusammengeworfen waren. Aber mein Bruder, technisch ebenso unbegabt wie ich, machte sich sofort an die Arbeit. […] Innerhalb weniger Wochen hatte das Blatt an die zwanzig Verfahren wegen Beleidigung und Pressevergehen am Halse […].
Als die Landvolkbewegung sich radikalisiert und in einigen schleswig-holsteinischen Gerichtsgebäuden Bomben legt, greift der Staat durch, und auch die Brüder Salomon werden verhaftet – Ernst von Salomon hat am Reichstag in Berlin eine Bombe gelegt, was ihm aber juristisch nicht nachgewiesen werden kann. Während der Untersuchungshaft beendet er seinen ersten Roman, Die Geächteten. In seinem zweiten, Die Stadt (1932), setzt er sich mit seiner Itzehoer Zeit und ihrem Ende auseinander.
Obwohl politisch weit rechts stehend und vom Selbstverständnis her weiterhin ein antidemokratischer Revolutionär, ist Ernst von Salomon kein Freund der Nazis und lässt sich nach der Machtergreifung nur begrenzt auf sie ein, während seine Texte (der dritte Band seiner autobiografischen Romane, Die Kadetten, ist 1933 erschienen) der NS-Literaturkritik als zu „nihilistisch“ erscheinen. #1 Er arbeitet als Lektor für Rowohlt, gibt 1938 das erfolgreiche Buch vom deutschen Freikorpskämpfer heraus und schreibt Drehbücher für Unterhaltungs- und Propagandafilme. In privaten Äußerungen macht er keinen Hehl aus seiner Verachtung für die Machthaber, hält sich aber in der Öffentlichkeit mehr und mehr mit Provokationen zurück, auch zum Schutz seiner jüdischen Lebensgefährtin. Nach Ende des Kriegs wird er von den Amerikanern für 15 Monate interniert, was er angesichts seiner ambivalenten Haltung zum Nationalsozialismus als Ungerechtigkeit empfindet. Nach seiner Entlassung zieht er nach Kampen auf Sylt. Die Internierung wird zum Anlass für sein bekanntestes Werk Der Fragebogen, das er hier schreibt: Anhand der 131 Fragen des Fragebogens zur Entnazifizierung erzählt er erneut sein Leben, schlägt aber nun anders als in den früheren Romanen einen ironischen, bisweilen auch zynischen Ton an. Das glänzend geschriebene Buch ist eine unverhohlene Kritik an den Methoden der Alliierten und besonders der US-Amerikaner, was 1951 einen Nerv traf: „Der Roman war an all jene gerichtet, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen mit dem Staatswesen der neugegründeten Bundesrepublik nicht identifizieren konnten oder wollten“, #2 ist dabei aber komplex genug, um kein stumpfes Pamphlet zu sein. Der Fragebogen wurde direkt nach Erscheinen zu einem provokanten Bestseller, und „Salomon wurde zu einer Ikone des Trotzes“. #3 Der Roman ist häufig nachgedruckt worden und bis heute lieferbar.
Im Anschluss an seinen größten Erfolg schrieb Salomon weitere Filmdrehbücher, nun für den bundesrepublikanischen Film, sowie Romane. Die schöne Wilhelmine (1965), ein historischer Roman, wurde erneut zum Bestseller. 1971, ein Jahr vor seinem Tod, erschien in einer lokalhistorischen Reihe des Verlags Hoffmann und Campe sein Büchlein Deutschland deine Schleswig-Holsteiner. In ihm erzählt er in humorigem Plauderton, aber nicht ohne unter Beweis gestellte Gelehrtheit, die lange Geschichte der kimbrischen Halbinsel von der Steinzeit bis ins 20. Jahrhundert. Wenn man die Biografie des Autors kennt, überrascht es nicht, dass ein besonderer Schwerpunkt des Buches auf militärischen und revolutionären Auseinandersetzungen wie der Schlacht bei Hemmingstedt oder der schleswig-holsteinischen Erhebung liegt. Auch die Landvolkbewegung wird kurz geschildert, ohne dass freilich die eigene Beteiligung des Verfassers erwähnt wird. Ebensowenig entnimmt man dem Buch, dass Ernst von Salomon bereits 1953 das Land verlassen hatte und auf die andere Seite der Elbe nach Stöckte (Niedersachen – heute Teil der Stadt Winsen/Luhe) gezogen war. Hier ist er am 9. August 1972 verstorben.
7.2.2022 Jan Behrs
ANMERKUNGEN
1 Hans Sarkowicz: Art. „Salomon, Ernst von“. In: Killy-Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes. Hg. v. Wilhelm Kühlmann. Bd. 10, Berlin/Boston 2012.
2 Gregor Fröhlich: Soldat ohne Befehl. Ernst von Salomon und der Soldatische Nationalismus. Leiden/Boston: Schöningh 2018, S. 341f.
3 Ebd., S. 355.
Veranstaltungen
Keine Veranstaltungen vorhanden
Werke
- Die Geächteten. Berlin: Rowohlt 1930.
- Die Stadt. Berlin: Rowohlt 1932.
- Die Kadetten. Berlin: Rowohlt 1933.
- Nahe Geschichte. Berlin: Rowohlt 1936.
- Boche in Frankreich. Hamburg: Rowohlt 1950.
- Der Fragebogen. Hamburg: Rowohlt 1951.
- Das Schicksal des A.D. Ein Mann im Schatten der Geschichte. Reinbek: Rowohlt 1960.
- Die schöne Wilhelmine. Ein Roman aus Preußens galanter Zeit. Reinbek: Rowohlt 1965.
- Deutschland deine Schleswig-Holsteiner. Dem Feinde weh, der sie bedroht! Hamburg: Hoffmann und Campe 1971.
- Die Kette der tausend Kraniche. Reinbek: Rowohlt 1972.
- Der tote Preuße. Roman einer Staatsidee. München: Langen-Müller 1973.