Sophie Wörishöffer

Wörishöffer, Sophie; geboren als Sophie Andresen. Pseudonyme: S. Fischer; A. Harder; W. Höffer; S. von der Horst; K. Horstmann.

Verfasserin populärer Abenteuerromane

Geboren in Pinneberg am 6. Oktober 1838
Gestorben in Altona am 8. November 1890

Sie wurde „der Karl May von Altona“ genannt, und der männliche Artikel ist nicht nur grammatikalische Unbeholfenheit, sondern sagt uns etwas über den Status von Frauen im literarischen 19. Jahrhundert: Sophie Wörishöffer konnte ihre Bücher nicht unter ihrem vollen Namen veröffentlichen, weil das die meist männlichen Leser ihrer Abenteuerromane vergrätzt hätte. Stattdessen schrieb sie als „S. Wörishöffer“, benutzte aber auch diverse andere Pseudonyme, von denen etliche wie „S. von der Horst“ ebenfalls das Geschlecht der Autorin im Dunkeln ließen.

Die spätere Erfolgsschriftstellerin wurde 1838 in Pinneberg als Sophie Andresen geboren; sie ist die ältere Cousine des Autors Detlev von Liliencron. 1857 zog ihre Familie ins damals holsteinische Altona, wo sie den gesamten Rest ihres Lebens verbrachte. Obwohl ihr der Durchbruch als Autorin erst spät gelang, schrieb sie vom Jugendalter an. Nachdem sie 1866 den Architekten Albert Fischer Wörishöffer geheiratet hatte und dieser bald darauf verstarb, musste sie versuchen, sich und ihre Kinder mit dem Schreiben über Wasser zu halten. Zunächst schrieb sie für Zeitungen wie die Hamburger Reform, dann verschob sich ihr Fokus mehr und mehr auf Buchveröffentlichungen, wobei sie sich in diversen Genres ausprobierte: Im 1874 erschienenen Ratgeber Aus den Erfahrungen einer Hausfrau, der laut Untertitel „für Deutschlands Bräute“ bestimmt ist und diesen „Worte von Herzen zu Herzen, einfach und schlicht“ verspricht, nimmt sie eine dezidiert weibliche Perspektive ein, um ihren Leserinnen durch und durch praktische Ratschläge für das zukünftige Eheleben zu geben. Der radikal pragmatische Ton, der hier angeschlagen wird, mag einen Hinweis auf Wörishöffers eigene ökonomisch beengte Lebenssituation geben, in der sie sich keine Extravaganzen und Sentimentalitäten leisten konnte, sodass sie auch den angehenden Ehefrauen rät, auf solche zu verzichten:

Ihr glaubt, daß ja doch alles Uebrige Nebensache sei, wenn nur das Kapitel „Liebe und Treue“ zur Zufriedenheit ausgefallen […]. Das habe ich meinerzeit auch gedacht, Ihr thörichten Bräutchen, und eben darum weiß ich so genau, daß Ihr es denkt!

Dennoch aber ist das Leben ein ernstes Räthsel und das Geld ein furchtbarer Riese, der in seiner harten Umarmung gar leicht das Glück erdrückt! – Laßt uns also sehen, wie wir mit ihm unseren Frieden machen.

S. v. d. Horst: Aus den Erfahrungen einer Hausfrau. Ein Weihnachtsgeschenk für Deutschlands Bräute. Worte von Herzen zum Herzen, einfach und schlicht, aber – treugemeint. Würzburg: Keller 1874, S. 6.

Als sie sich bald darauf auf Fiktion verlegt, bleiben dieser Pragmatismus und das Interesse an sozialen Notlagen erhalten: In ihrer frühen Novelle Am Abgrund begibt sie sich in die „engen im dritten Stockwerk des Hauses belegenen Miethwohnungen, in denen die Menschen gewissermaßen keinen Raum mehr für sich selbst übrig behalten, nachdem ihre Mobilien placirt sind und das Küchengeräth auf dem Flur oder im Schlafzimmer untergebracht worden ist.“ #1 Vor diesem Hintergrund entwickelt sie eine höchst dramatische Handlung, in der sich die rechtschaffenen Armen am Ende den dekadenten Reichen als moralisch überlegen erweisen und sich auch auf finanzieller Ebene eine Entspannung einstellt.

Der Durchbruch gelingt Wörishöffer jedoch nicht mit diesen Textsorten, sondern mit einer Gattung, die sie (wie oben beschrieben) zwingt, sich eine männliche Identität zuzulegen. 1877 wird sie vom Verlag Velhagen & Klasing beauftragt, ein bereits erschienenes Jugendbuch namens Robert des Schiffsjungen Fahrten und Abenteuer auf der deutschen Handels- und Kriegsflotte umzuarbeiten. Eine ihrer Änderungen, die sofort ins Auge fällt, ist die Verlegung von Roberts Herkunftsort: Während dieser im von Max Bischoff verfassten Original aus Berlin-Stralau stammt, führt uns Wörishöffer nun in den „holsteinischen Flecken Pinneberg“ und ans „Ufer der Pinnau“. #2 Dementsprechend bekundet Robert, er wolle „mehr von der Welt sehen als nur das kleine Pinneberg“, #3 und dieser Wunsch wird ihm auf den über 600 Seiten, auf die Wörishöffer das wesentlich kürzere Original vergrößert hat, überreichlich erfüllt. Als er am Ende in die Heimat zurückkehrt, ist er erwachsen geworden und hat sich die Achtung der Pinneberger*Innen ebenso verdient wie die der Nation:

Robert ist in schwerer Schicksalsstunde zum Manne herangereift, er ist geprüft worden und hat bestanden, aber seine Neigung für das Seewesen blieb unverändert die gleiche. Nachdem er bei dem alten Mütterchen ausgeruht, die Heimat wiedergesehen und die Jugendfreunde begrüßt, ist er abermals als Bootsmannsmaat auf- und davongegangen.

S. Wörishöffer: Roberts des Schiffsjungen Fahrten und Abenteuer auf der deutschen Handels- und Kriegsflotte. Siebente Auflage. Bielefeld und Leipzig: Velhagen & Klasing 1895, S. 664.

Das gleiche gilt gewissermaßen auch für Wörishöffer: Ihre Überarbeitung wird ein großer Erfolg, und auch sie bleibt dem „Seewesen“ danach treu und produziert in der Folge eigene Abenteuerromane eines ähnlichen Zuschnitts. Die zahlreichen edel ausgestatteten und prachtvoll illustrierten Bände geben meist schon im Titel deutlich zu erkennen, was die junge, männliche Leserschaft erwarten kann: Kreuz und quer durch Indien: Irrfahrten zweier junger deutscher Leichtmatrosen in der Indischen Wunderwelt (1884), Das Naturforscherschiff oder Fahrt der jungen Hamburger mit der „Hammonia“ nach den Besitzungen ihres Vaters in der Südsee (1880) oder Unter Korsaren: Irrfahrten, Abenteuer und Kämpfe auf der Südsee und Erlebnisse von Christensklaven in Tripolis (1890). Immer gibt es ein reichliches Maß an exotischen Ländern und Völkern, die den deutschen Lesern durch eine deutsche (oft aus Hamburg stammende) Hauptfigur nahegebracht und unter Einsatz der zeittypischen rassistischen Vorurteile geschildert werden. Wie zuvor mit den jungen Bräuten schlägt Wörishöffer nun ihrem männlichen Publikum gegenüber einen vertraulichen Ton an:

Ein neues Buch von Eurem alten Freunde, Ihr lieben deutschen Knaben! Wieder eine Fahrt in fremde Weltteile und zu fremden Menschen […].

S. Wörishöffer: Das Buch vom braven Mann. Bilder aus dem Seeleben. Leipzig: Hirt 1883.

Wörishöffer kennt (darin erneut Karl May ähnlich) die zahlreichen beschriebenen Länder nicht aus eigener Anschauung; anders als bei May geraten ihre Werke trotz ihres großen Erfolgs zu Lebzeiten der Autorin relativ schnell in Vergessenheit. Zwar erscheinen bis in die 1950er Jahre noch vereinzelte Neuauflagen und bis heute einige Nachdrucke, aber insgesamt sinkt ihr Stern wesentlich schneller als der des sächsischen Kollegen, was auch mit der kolonialen Thematik vieler ihrer Bücher zu tun haben mag. Wie bekannt die Autorin und ihre Werke einst waren, zeigt die Tatsache, dass auf der Nordseeinsel Norderney der Onnen-Visser-Platz den Namen einer ihrer fiktiven Figuren aus dem Roman Onnen Visser, der Schmugglersohn von Norderney trägt. Und auch in ihrer Heimatstadt gedenkt man ihrer: Das Pinneberg Museum sammelt die verschiedenen Ausgaben ihrer einst so weit verbreiteten und heute selten gewordenen Bücher. #4

14.4.2022 Jan Behrs

ANMERKUNGEN

1 S. von der Horst: Am Abgrund. Novelle. Görlitz: Vierling 1878.

2 S. Wörishöffer: Roberts des Schiffsjungen Fahrten und Abenteuer auf der deutschen Handels- und Kriegsflotte. Siebente Auflage. Bielefeld und Leipzig: Velhagen & Klasing 1895, S. 1.

3 Ebd., S. 3.

4 Volker Behrens: Das Geheimnis des Karl May von Pinneberg. Hamburger Abendblatt, Regionalausgabe Pinneberg, 20.1.2018. Online unter https://www.abendblatt.de/region/pinneberg/article213166827/Das-Geheimnis-des-Karl-May-von-Pinneberg.html.