Hanerau-Hademarschen

Wissenswertes

Der Doppelort mit heute rund 3000 Einwohnern entstand 1938 aus den bis dahin eigenständigen Gemeinden Hanerau und Hademarschen.  Prägend für den Ortsteil Hanerau ist das historisch interessante Gut in Insellage im Mühlenteich, dessen wechselvolle  Geschichte 1185 als Burg und Bollwerk gegen die Bauernrepublik Dithmarschen begann. Im 16. Jahrhundert wurde aus der Burg ein adliges Gut mit der Obrigkeit und Gerichtshoheit über das Kirchspiel Hademarschen. Das Dorf Hanerau entwickelte sich ab 1800, als der Württemberger Johann Wilhelm Mannhardt Gut Hanerau kaufte und Manufakturen und Industrieanlagen sowie Wohnhäuser für die Arbeiter errichten ließ. Im Hanerauer Park liegt der zum Gut gehörende einzigartige Waldfriedhof, der nach dem Vorbild der Herrnhuter Brüdergemeine angelegt ist. Eine Bronzestatue erinnert hier an den Dichter Theodor Storm. Die noch heute funktionsfähige Hanerauer Wassermühle mahlte das Korn der Hademarscher Bauern schon lange vor Gründung des Dorfes Hanerau.

Im Ortsteil Hademarschen bezeugen die Grabhügel „Auf den Bergen“ bei der Schule und den Sportanlagen eine sehr frühe Besiedlung. Mittendrin liegt der Hochseilgarten mit dem atemberaubenden Wipfelpfad. Den Mittelpunkt Hademarschens bildet die ursprünglich im romanischen Baustil aus großen Feldsteinen erbaute St.-Severin-Kirche. Die erste urkundliche Erwähnung stammt aus dem Jahr 1317. Am 27. Dezember 2003 zerstörte ein verheerender Brand das wertvolle Gebäude, das bis 2007 wieder aufgebaut wurde, momentan aber wegen Baumängeln geschlossen ist. Im Heimatmuseum erkunden Interessierte die regionale Geschichte, sehen eine große Sammlung mit Exponaten zu den ehemaligen deutschen Ostgebieten und informieren sich über Theodor Storm.

Literarisches

„In Husum ist das Geschrei über unsern Fortgang groß“ #1, teilte der bedeutende Lyriker und Dichter des poetischen Realismus Theodor Storm seinem Freund Paul Heyse zu Pfingsten 1880 mit. Der Dichter und Jurist Storm, geboren am 14. September 1817 in Husum, wählte Hademarschen nach der Pensionierung 1880 zu seinem Alterssitz. Er kannte das Kirchdorf von angenehmen Besuchen bei seinem Bruder, dem Holzhändler Johannes Storm, der hier schon lange lebte und mit einer Schwester von Storms Ehefrau Dorothea verheiratet war. Die familiäre Bindung, die verkehrsgünstige Lage mit Bahnanschluss und die reizvolle waldreiche Altmoränenlandschaft sprachen für diesen Ort. Er hatte nun einen Platz gefunden, dessen Gegebenheiten so wunderbar zu seinen Zukunftsplänen passten. Seiner Tochter Elsabe schrieb Storm 1881: „… also freue ich mich einigermaßen meines alten Lebens. Dazu trägt die heitere Lage unsers Wohnsitzes nicht wenig bei; es ist, als könne man von da so leicht die Flügel nach allen Weltgegenden ausspannen.“ #2Hier war sein Altersparadies, Ursprungsraum reifer Novellistik. In Hademarschen verfasste Storm die Novellen Die Söhne des Senators (1880), Der Herr Etatsrat (1881), Hans und Heinz Kirch (1882), Schweigen (1883), Zur Chronik von Grieshuus (1884), Es waren zwei Königskinder (1884), Ein Fest auf Haderslevhuus (1885), John Riew‘ (1885), Ein Doppelgänger (1886), Bötjer Basch (1886) und Ein Bekenntnis (1887). Trotz starker Schmerzen infolge einer Krebserkrankung gelang es dem Dichter nach langer Vorarbeit noch kurz vor seinem Tode „eine Deichgespenstsage auf die vier Beine einer Novelle zu stellen.“#3Der Schimmelreiter (1888) ist Theodor Storms mächtigste Erzählung, die ihren ersten Leser, den Dichter Paul Heyse, „durch und durch geschüttelt, gerührt und erbaut hat.“#4 Und Thomas Mann schrieb 1930 voller Bewunderung, dass Storm mit seinem letzten Hademarscher Werk „die Novelle, wie er sie verstand, auf einen seither nicht wieder erreichten Gipfel“ #5 geführt habe. Theodor Storm starb am 4. Juli 1888 in Hademarschen.

In der Umgebung

Zu Fuß, per Rad oder auch auf dem Pferderücken lässt sich die idyllische Geestlandschaft rund um Hanerau-Hademarschen am besten erkunden.

Langbetten und Hügelgräber wollen im Waldgebiet „Bondenschiften“ südwestlich der Bahnstrecke NeumünsterHeide entdeckt werden. Sie zeugen von einer intensiven Besiedlung in der Stein- und Bronzezeit. Ganz in der Nähe, zwischen Grünental und Bendorf, verläuft ein Teil des westlichen Ochsenweges, den viele Jahrhunderte lang Händler und Ochsentreiber vom nördlichen Jütland zu den Märkten und Häfen Schleswig-Holsteins nutzten.

Eine besondere Attraktion bildet der von Sportbooten und großen Frachtschiffen stark befahrene Nord-Ostsee-Kanal mit seinen Fähren in Fischerhütte und Oldenbüttel im Norden. Ein Blick von der Grünentaler Hochbrücke verschafft eine gute Übersicht über die Wasserstraße und die landwirtschaftlich geprägte Region. Besondere Höhepunkte sind die Passagen der luxuriösen Kreuzfahrtschiffe, die man von den Service-Stationen an den Fährstellen hautnah erleben kann. In Fischerhütte steht die längst ausgemusterte letzte Kettenfähre als begehbares technisches Denkmal am Kanalufer.

25.11.2021 Hartmut Schalke

ANMERKUNGEN

1 Theodor Storm – Paul Heyse: Briefwechsel. Kritische Ausgabe. Bd. II. Hg. v. Clifford Albrecht Bernd. Berlin 1970, S. 59.

2Theodor Storm: Briefe an seine Kinder. Hg. v. Gertrud Storm. Braunschweig 1916, S. 249.

3 Theodor Storm – Paul Heyse: Briefwechsel. Kritische Ausgabe.Bd. III. Hg. v. Clifford Albrecht Bernd. Berlin 1974, S. 140.

4 Ebd., S. 173.

5 Thomas Mann: Leiden und Größe der Meister. Berlin 1974, S. 172.