Bücherverbrennungen in Schleswig-Holstein

Es ist kein Jubiläum, auf das das literarische Schleswig-Holstein besonders stolz sein könnte, aber umso wichtiger ist es, daran zu erinnern: Am 10. Mai 1933 fanden im Land wie im gesamten Deutschen Reich im Rahmen der Aktion wider den undeutschen Geist Bücherverbrennungen statt, bei denen die Werke von Autor*Innen, die dem Regime nicht genehm waren, symbolisch vernichtet wurden. Wenngleich heute der 10. Mai als das Hauptdatum der Bücherverbrennungen gilt und an diesem Tag an das Geschehene erinnert wird, wurden in Schleswig-Holstein (und im gesamten Deutschen Reich) über einen längeren Zeitraum Scheiterhaufen errichtet: Schon direkt nach den Reichstagswahlen am 5. März 1933, bei denen die Nationalsozialisten unter undemokratischen Bedingungen die Mehrheit errangen, begann eine erste, noch relativ chaotische Welle von Aktionen, etwa in Flensburg am 20. März 1933. Rund um den 10. Mai folgte die wesentlich besser vorbereitete und geplante Aktion wider den undeutschen Geist mit Bücherverbrennungen in 30 Orten - auf dem Opernplatz in Berlin, aber auch in Kiel. Und auch nach Abschluss dieser Aktion fanden 1933 weitere Bücherverbrennungen statt, zum Beispiel in Lübeck (26. Mai), Schleswig (23. Juni), Eutin (25. Juni), Rendsburg (9. Oktober) und erneut in Flensburg (30. Mai). Wenig bekannt ist über die Aktionen in Bad Segeberg (25. Juni) und auf Helgoland (18. Mai).

Da die Aktion wider den undeutschen Geist auf studentische Initiative zurückging, ist es keine Überraschung, dass die Universitätsstadt Kiel am 10. Mai zu den Standorten der öffentlichwirksamsten Welle von Bücherverbrennungen gehörte. #1 An der Universität, die sich bereits vor der nationalsozialistischen Machtergreifung durch eine besonders nationalistisches Selbstverständnis ausgezeichnet hatte, gab es bereits im März und April des Jahres 1933 Angriffe auf jüdische, pazifistische oder aus anderen Gründen unliebsame Wissenschaftler*Innen, und die radikalen Teile der Studierendenschaft machten sich enthusiastisch an die Aufgabe, die Bücherverbrennung vorzubereiten. Im April wurde ein „Kampfausschuss wider den undeutschen Geist“ gegründet, der sich sofort ans Werk machte:

Am Nachmittag des 19. April besetzte den Pressemitteilungen zufolge die örtliche Polizei alle Kieler Bibliotheken. Daraufhin begab sich der Kampfausschuss in die einzelnen Büchereien, um sie „von schädlichen Werke zu säubern“, wozu „schmutzig-erotische Literatur“, „Greuelpropaganda gegen Deutschland“, „schädliche Antikriegsliteratur“ und „andere zersetzende Schriften“ zählten. Insgesamt wurden im Laufe der Aktion etwa 2000 Bücher entfernt.

Carsten Mish, Christoph Cornelißen: Art. „Kiel“. In: Julius H. Schoeps, Werner Treß (Hrsg.): Orte der Bücherverbrennungen in Schleswig-Holstein 1933. Hildesheim u.a.: Olms 2008 (Sonderausgabe Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein 2013), S. 37-53, hier S. 44.

Und auch die Universitätsbibliotheken blieben von solchen „Säuberungen“ nicht verschont, ganz im Gegenteil: Hier standen besonders die Werke von Lehrenden im Fokus, die den nationalsozialistischen Studierenden des „Kampfausschusses“ wegen ihrer Abstammung oder ihrer Überzeugungen suspekt waren. Diese Personen mussten angesichts des studentischen Furors nicht nur mit der Beseitigung ihrer Bücher, sondern auch mit ihrer Entlassung rechnen.

Am 10. Mai versammelte sich eine Menschenmenge aus Universitätsangehörigen und Schaulustigen (die Veranstaltung war in der Tagespresse angekündigt worden) in der Aula der Universität. Nachdem dort einige Reden gegen die vermeintliche Dominanz des „undeutschen Geists“ gehalten wurden, ging es zum Wilhelmplatz, der als Ort der Verbrennung ausgewählt worden war:

Dem sich nun formierenden Fackelzug wurde die Universitätsfahne vorweggetragen, es folgten die Hakenkreuzfahne und die SA, dahinter die örtlichen Korporationen mit ihren Farben und schließlich die einfachen Studenten. Wie die Zeitungen weiter berichten, schloss sich eine „ansehnliche Menge“ Kieler dem Zug an, der im Zick-Zack Kurs durch die Kieler Innenstadt vom Schlossgarten zum Wilhelmplatz marschierte.

Carsten Mish, Christoph Cornelißen: Art. „Kiel“. In: Julius H. Schoeps, Werner Treß (Hrsg.): Orte der Bücherverbrennungen in Schleswig-Holstein 1933. Hildesheim u.a.: Olms 2008 (Sonderausgabe Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein 2013), S. 37-53, hier S. 46.

Die eigentliche Verbrennung folgte demselben Skript wie überall im Land: Unter Verlesung sogenannter Feuersprüche #2 wurden die inkriminierten Werke in die Flammen geworfen. Bereits an zweiter Stelle wurde der in Lübeck geborene Heinrich Mann genannt, der den Nazis als Vertreter von „Dekadenz und moralischem Verfall“ galt.

Derzeit (Stand Mai 2022) erinnert in Kiel nichts an die Geschehnisse auf dem Wilhelmplatz; die Errichtung eine Gedenkstele, die ein Zeugnis der barbarischen Ereignisse ablegen soll, wird diskutiert.

Während die Aktionen „gegen den undeutschen Geist“ am 10. Mai zentral geplant waren und reichsweit recht ähnlich abliefen, ergibt sich bei den Verbrennungen davor und danach ein weniger einheitliches Bild. In Flensburg hatte bereits am 20. März eine eher spontane und chaotische Aktion der Hitlerjugend stattgefunden, bei der geplünderte Werke aus einem städtischen Jugendheim auf dem Nordertorplatz verbrannt worden waren. Am 30. Mai folgte auf der „Exe“ im Stadtzentrum ein aufwändigeres Spektakel: Unter Federführung des „Kampfbundes für deutsche Kultur“, dessen „Mitgliedsliste […] sich wie ein Who’s Who der Flensburger Elite“ liest, #3 waren in ähnlicher Weise wie in Kiel die Bestände der Büchereien geplündert worden, und Flensburger Bürger*Innen waren dazu aufgefordert, eigene unliebsame Bücher beizusteuern. Wieviele Zuschauer*Innen sich schließlich auf der Exe einfanden, um dem Spektakel beizuwohnen, ist unklar, aber ihre Anzahl scheint hinter den Erwartungen der Veranstalter zurückgeblieben zu sein. Der Flensburger General-Anzeiger, der die Veranstaltung wie alle lokalen Zeitungen mit Ausnahme der dänischen Presse wohlwollend begleitet hatte, schrieb am nächsten Tag mit deutlich spürbarer Enttäuschung:

Verschiedene Umstände trugen dazu bei, daß die gestrige Verbrennung artfremder, volksfeindlicher Bücher, Zeitschriften und Zeitungen sich in kleinerem Rahmen vollzog, als es erwünscht war. Als Folge der regnerischen Witterung, des Verzichtes auf eine straffe Erfassung aller Bevölkerungskreise und eine fesselnde Umrahmung der symbolischen Handlung war die Teilnehmerzahl nicht entfernt so groß, als sie einer Stadt wie Flensburg zukäme.

Zitiert nach Bernd Philipsen: Art. „Flensburg“. In: Julius H. Schoeps, Werner Treß (Hrsg.): Orte der Bücherverbrennungen in Schleswig-Holstein 1933. Hildesheim u.a.: Olms 2008 (Sonderausgabe Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein 2013), S. 29-35, hier S. 32.

Vergleichsweise schlecht ist die Quellenlage, was die Bücherverbrennung in Lübeck betrifft. Sie fand relativ spät (am 26. Mai) und an einem weniger zentralen Ort (dem Buniamshof in den Wallanlagen) statt und war ein Bestandteil einer größeren Gedenkfeier für die nationalistischen „Märtyrer“ Leo Schlageter und Jürgen Paul Prahl. Verbrannt wurden überwiegend Bestände aus sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Bibliotheken; die Lübecker Stadtbibliothek blieb vermutlich unangetastet. Es ist anzunehmen, dass der umfangreiche Scheiterhaufen auch die Werke der Lübecker Autoren Heinrich Mann, Thomas Mann und Erich Mühsam enthielt. Die Lübeckischen Anzeigen berichten vom „Händeklatschen der riesigen Menge“, die der Veranstaltung beiwohnte. #4

Im deutlich kleineren Schleswig kamen laut (freilich keineswegs unparteiischen) Zeitungsberichten nicht weniger als 5.000 Menschen zur Verbrennung, die am 25. Juni 1933 auf dem Stadtfeld stattfand – ein Hinweis darauf, dass solche Aktionen trotz ihrer ideologischen Härte keineswegs nur für hundertfünfzigprozentige Nazis interessant waren, sondern – auch durch die Mitwirkung der Presse – große Bevölkerungskreise anlockten. Der Hauptverantwortliche für die Aktion in Schleswig, der NSDAP-Kreiskulturwart Fritz Michel, war selbst als Schriftsteller aktiv gewesen, bevor er Journalist wurde und die Schleswiger Nachrichten, die er seit 1923 leitete, schon lange vor der Machtergreifung auf Parteilinie brachte. Es überrascht daher nicht, dass er die Verbrennung nicht nur mit großem Enthusiasmus und hetzerischen Reden leitete, sondern auch einen selbst verfassten „Feuerspruch“ vortrug, bei dem das Publikum mitzuwirken hatte. Die Schleswiger Nachrichten berichteten:

Die ungefähr 5000-köpfige Menge spricht die Verszeilen andächtig und eindringlich mit und stimmt in das ‚Sieg Heil‘ zum Schluss begeistert ein […]. Die Flammen steigen gen Himmel – eine alte Welt ist abgetan.

Zitiert nach Bernd Philipsen: Art. „Schleswig“. In: Julius H. Schoeps, Werner Treß (Hrsg.): Orte der Bücherverbrennungen in Schleswig-Holstein 1933. Hildesheim u.a.: Olms 2008 (Sonderausgabe Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein 2013), S. 69-76, hier S. 73.

In Rendsburg, wo die Bücherverbrennung erst im Oktober 1933 stattfand, finden wir eine Mischung bereits bekannter Organisationsmuster vor: Die erste Initiative zur „Säuberung“ der Bibliotheken ging von Studierenden an der Staatlichen Tiefbauschule aus, wurde aber offenbar recht chaotisch durchgeführt. Im Sommer gründete sich dann wie in Flensburg eine lokale Abteilung des „Kampfbunds“, die sich der geplünderten Bücher annahm und am 9. Oktober auf dem Paradeplatz die Verbrennung durchführte.

Auch wenn die Bücherverbrennungen als Symbol der nationalsozialistischen Barbarei heute einen hohen Bekanntheitsgrad genießen und geradezu sinnbildlich für den schon früh erkennbaren Zerstörungswillen der Nazis (und die Bereitschaft zur Mitwirkung in weiten Teilen der Bevölkerung) stehen, erinnert im Alltag nur wenig an sie, und die meist zentralen Plätze in den Städten, auf denen Bücher verbrannt wurden, geben ihre dunkle Geschichte nicht auf den ersten Blick preis. Vergessen sind die Geschehnisse deswegen aber nicht: Jedes Jahr finden an vielen Orten Gedenkveranstaltungen statt, die die Ereignisse ins Gedächtnis rufen, indem beispielsweise aus seinerzeit verbrannten Büchern gelesen wird. In Kiel gibt es seit 1983, dem 50. Jahrestag der ursprünglichen Bücherverbrennung, ununterbrochen jedes Jahr solche Veranstaltungen, die von Gewerkschaften wie Ver.di und dem Verband deutscher Schriftsteller organisiert werden.

Ein ungewöhnliches, erschreckendes Zusammenspiel von Erinnerungskultur und Bücherverbrennung gab es 1957 in Itzehoe  #5: Hier fand während der Nazizeit keine Bücherverbrennung statt, und nach Kriegsende zeichnete sich die Stadt dadurch aus, als erste in Nordeuropa ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus zu errichten. 1946 wurde auf Initiative des Filmproduzenten Gyula Trebitsch direkt am Marktplatz eine Gedenkanlage eröffnet, die von dem renommierten Architekten des Hamburger Chilehauses (und ehemaligen NS-Sympathisanten) Fritz Höger entworfen worden war. Bereits 1957 war das Interesse der Stadt an dieser Art des Gedenkens jedoch geschwunden, und das Ensemble wurde an eine abgelegenere Stelle verlegt. Im selben Jahr fand am Itzehoer Holzkamp, zwei Laufminuten vom ursprünglichen Standort des Mahnmals entfernt, erneut eine Bücherverbrennung statt: Vom Staat nicht nur geduldet, sondern auch finanziert verbrannten hier der Bürgermeister und der Kreisjugendpfleger sogenannte Schundliteratur. #6 Auch wenn es hier um Groschenhefte für Jugendliche ging und nicht um die Werke jüdischer oder sozialistischer AutorInnen, sind die Parallelen zu 1933 frappierend – und wurden von den damaligen Verantwortlichen offenbar in Kauf genommen oder nicht gesehen. Erst 1995 wurde das Mahnmal an seinen ursprünglichen Standort zurückgeholt.

4.5.2022 Jan Behrs

ANMERKUNGEN

1 Die folgende Darstellung folgt Carsten Mish, Christoph Cornelißen: Art. „Kiel“. In: Julius H. Schoeps, Werner Treß (Hrsg.): Orte der Bücherverbrennungen in Schleswig-Holstein 1933. Hildesheim u.a.: Olms 2008 (Sonderausgabe Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein 2013), S. 37-53.

2 Diese Sprüche sind unter https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCcherverbrennung_1933_in_Deutschland#Feuerspr%C3%BCche nachzulesen.

3 Bernd Philipsen: Art. „Flensburg“. In: Julius H. Schoeps, Werner Treß (Hrsg.): Orte der Bücherverbrennungen in Schleswig-Holstein 1933. Hildesheim u.a.: Olms 2008 (Sonderausgabe Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein 2013), S. 29-35, hier S. 30.

4 Zitiert nach Jan Lokers: Art. „Lübeck“. In: Julius H. Schoeps, Werner Treß (Hrsg.): Orte der Bücherverbrennungen in Schleswig-Holstein 1933. Hildesheim u.a.: Olms 2008 (Sonderausgabe Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein 2013), S. 55-60, hier S. 57.

5 Vgl. hierzu das jüngst erschienene Buch von Michael Legband: Das Mahnmal. 75 Jahre gegen das Vergessen. Vom Umgang mit dem Nationalsozialismus in Itzehoe. Kiel: Ludwig 2022.

6 Eine genauere Beschreibung findet sich in einem Beitrag von Björn Marnau im oben genannten Band von Michael Legband (ebd., S. 307-313) sowie in Björn Marnau: „Feldzug gegen Schmutz- und Schundliteratur“. Norddeutsche Rundschau vom 24. April 2017 (https://www.shz.de/16659471).