Klaus Peter Dencker

Dencker, Klaus Peter

Experimentalfilmer, Unsinnspoet, Jazzmusiker

Geboren in Lübeck-Travemünde am 22. März 1941
Gestorben in Ahrensburg am 18. Juni 2021

Er gehört zu den Mitbegründern der Visuellen Poesie – die er nicht nur mit eigenen Beiträgen bereichert, sondern auch wissenschaftlich erforscht hat: Klaus Peter Dencker war in der Literatur, im Fernsehen, in der Kunst und im Hörspiel zuhause; er hat geschrieben, gefilmt, kuratiert und herausgegeben und tourte nebenher mit seiner Jazzband durch die ganze Welt. Doch auch eine Honorarprofessur für „Medientheorie und Medienpraxis“ an der Universität Trier gehörte zu seinen Aufgaben. „Als Fortsetzer der visuellen konkreten Poesie hat Dencker, als einer der wenigen in Deutschland, Theorien und Praktiken entwickelt, die international Beachtung gefunden haben.“ #1

Geboren am 22. März 1941 in Lübeck, studiert Dencker an der Universität Hamburg die Fächer Literaturwissenschaft, Japanologie und Philosophie. Von 1965 bis 1974 ist er Lehrbeauftragter für Literaturwissenschaft sowie für Film- und Fernsehkunde an der Universität Erlangen-Nürnberg; danach arbeitet er ein Jahr als freischaffender Autor und Fernsehmacher. Anschließend ist er als Redakteur und Filmemacher beim Saarländischen Rundfunk tätig und übernimmt 1985 eine Honorarprofessur für „Medientheorie und Medienpraxis“ an der Universität Trier, die 2000 endet. Von 1985 bis 2002 arbeitet er zudem als Leitender Regierungsdirektor der Kulturbehörde Hamburg. Daneben ist Dencker in zahlreichen weiteren Funktionen tätig; etwa von 1992 bis 1995 als Jurymitglied des Deutschen Medienkunstpreises des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe. Von 1996 bis 2001 initiiert und koordiniert er das elektronische Kommunikationsnetz im Ostseeraum, Baltic Interface Net (BIN).

Zu Denckers Werk gehören zwar auch etwa 100 Dokumentar- und Experimentalfilme für ARD und ZDF, doch die mal dadaistisch verrätselte, mal im Bereich zwischen Literatur und bildender Kunst angesiedelte Lyrik dürfte sein bekanntester Aktivitätsbereich sein. Ein Beispiel für Denckers „Unsinnspoesie“:

Annonce VIII

Ostern hängen dem Esel
Die Weintrauben aus den Ohren,
und Pfingsten werden im Euter
die Erdbeeren gekeltert:

so ändern wir jahrelange Gebräuche.
Kauft Kommunisten nichts ab.

Trinkt Milch.

Klaus Peter Dencker: Annonce VIII. In: Morgenstund hat kurze Beine. Unsinnspoesie, hg. v. Klaus Peter Dencker, Stuttgart 2011, S. 108.

Dencker schreibt im Nachwort der Anthologie, die sein Gedicht enthält:

Als ich in den 1950er Jahren meine ersten lyrischen Schreibversuche angesichts übermächtiger Vorbilder wie Paul Celan und Karl Krolow begann, herrschte noch die Auffassung, dass Dichtung regelrecht, d.h. nach bestehenden Rhetoriken und kanonischen Erfahrungen zu erfolgen habe und die Produktion sowie das Verständnis von deren Kenntnis abhängig waren. Erst aus den Begegnungen mit den frühen Gedichten von Helmut Heißenbüttel […] lernte ich, dass ein weit größeres Formen- und Ausdrucksspektrum sich durch poetologische Setzungen des Autors und ohne notwendige Bindungen an die Tradition ergeben könnte.

Klaus Peter Dencker: Nachwort. In: Morgenstund hat kurze Beine. Unsinnspoesie, hg. v. Klaus Peter Dencker, Stuttgart 2011, S. 135–137, hier S. 135.

Dencker vertraut dabei auf einer Zusammenarbeit mit der Leserschaft, deren Lektüre notwendig zum Produktionsprozess gehört und damit Bestandteil der Textrealisation sei – die entsprechenden Gedichte würden sich „erst im Kopf des Betrachters“ #2 vollenden. Daher sei es notwendig, vorurteilsfrei, spielerisch und offen mit ihnen umzugehen. „So ist am Ende auch alles möglich: vom provozierten kurzen Lachen bis zum Anstoß für weiteres sinnaufspürendes Nachdenken.“ #3

An anderer Stelle schreibt Dencker über sich:

Als ich Anfang der 1960er Jahre auf einzelne Veröffentlichungen der Wiener Gruppe stieß, 1967 die von Gerhard Rühm im Rowohlt Verlag herausgegebene Dokumentation Die Wiener Gruppe las und schließlich auf die Autoren der Konkreten Poesie, insbesondere auf Eugen Gomringer und die Stuttgarter Schule um Max Bense aufmerksam wurde, blieb das nicht ohne Einfluss auf meine literarische Arbeit. Dazu kam die Nähe zur bildenden Kunst, zur Op- und Pop-Art und zum Film, die schließlich dazu führte, dass zunächst Text-Bilder (Plakatgedichte und Textlandschaften) auf der einen und 1970 dann Visuelle Poesie als kurze Fernsehfilme für das 3. Programm des Südwestfunks in Baden-Baden auf der anderen Seite entstanden.

Klaus Peter Dencker: Optische Poesie. Von den prähistorischen Schriftzeichen bis zu den digitalen Experimenten der Gegenwart, Berlin/New York 2011, S. 2.

Dencker wird durch den Einfluss der Konkreten Poesie dazu gebracht, „traditionelle metaphorische Schreibweisen aufzugeben“, #4 erweitert aber sein Textverständnis dahingehend, dass zunehmend visuelle Formen einbezogen werden. Über die historische Perspektive und die reichhaltigen Realisationsmöglichkeiten legt er 2011 die knapp tausendseitige Monografie Optische Poesie vor. Beispiele für einige von Denckers entsprechenden Bild-Text-Kunstwerken finden sich hier. Seit 1970 war Dencker an über 200 internationalen Einzel- und Kollektivausstellungen zum Thema Visuelle Poesie beteiligt.

Dencker wurde für sein Werk mit mehreren Preisen und Stipendien ausgezeichnet. Er erhielt u.a. den Kulturpreis der Stadt Erlangen (1972) und den Förderpreis zumBerliner Kunstpreis (1982); 2012 wurde ihm das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg verwahrt seit 2012 seinen Nachlaß: „Zur ‚Sammlung Dencker‘ innerhalb der SUB zählt nun auch das umfangreiche Korrespondenzarchiv des Künstlers mit anderen weltweit agierenden, experimentellen Poeten, das für die kultur-, kunst- und literaturwissenschaftliche Forschung von besonderem Wert ist.“ #5

30.9.21 Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Begründung der Jury zur Verleihung des Förderpreises zum Berliner Kunstpreis, Akademie der Künste, Berlin 1982.

2 Klaus Peter Dencker: Nachwort. In: Morgenstund hat kurze Beine. Unsinnspoesie, hg. v. Klaus Peter Dencker, Stuttgart 2011, S. 135–137, hier S. 135.

3 Ebd., S. 137. Vgl. hierzu auch: Klaus Peter Dencker: Einleitung. In: Deutsche Unsinnspoesie, hg. v. Klaus Peter Dencker, Stuttgart 1978, S. 5–16.

4 Klaus Peter Dencker: Optische Poesie. Von den prähistorischen Schriftzeichen bis zu den digitalen Experimenten der Gegenwart, Berlin/New York 2011, S. 3.

5 Anne Liewert: Trauer um Klaus Dencker. In: Blog der SUB Hamburg, 28. Juni 2021. [https://blog.sub.uni-hamburg.de/?p=315108]