Waldemar Augustiny

Augustiny, Waldemar.

Umstrittener Chronist der „Großen Flut“; Mitglied im nationalsozialistischen Eutiner Dichterkreis

Geboren in Schleswig am 19. Mai 1897
Gestorben in Worpswede am 26. Januar 1979

„Von der Insel Strand erzähle ich, die es heute nicht mehr gibt. Eine Nacht löschte aus viele ihrer Dörfer, Kirchen und Hafenplätze, und über deren Stätte rollen heute die grünen Wellen der Nordsee. Es gibt noch Trümmer der Insel, Pellworm und Nordstrand und die kleinen Halligen, die wie Schären aus dem Wasser ragen, aber der alte volkreiche Strand ist nicht mehr.“

Waldemar Augustiny: Die große Flut. Chronik der Insel Strand. Husum 1981, S. 5.

Keines seiner Bücher ist bekannter als Die große Flut, die in zahlreichen Ausgaben verbreitete und vielgelesene Chronik der untergegangenen Insel Strand: Waldemar Augustiny, der heimatverbundene norddeutsche Erzähler, der in seinen Büchern „der Unrast und Entwurzelung der Zeit reines Menschentum und Gemeinschaft in christlichem Geist“ #1 entgegenzusetzten suchte. Für seine Rolle während des Nationalsozialismus wird Augustiny allerdings vehement kritisiert.

Augustiny entstammt einer Pastorenfamilie; er verbrachte seine Jugend auf Alsen und ging in Schleswig zur Schule. Von 1919–23 studierte er Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte in Kiel, Hamburg und Berlin. Anschließend arbeitete er in unterschiedlichen Berufen, u.a. als Verlagsredakteur (1925–32), Buchhändler und Journalist. In dieser Funktion schrieb er für die nationalsozialistische Presse und nach dem Krieg für die Hannoversche Allgemeine Zeitung. Von 1932 bis zu seinem Tod lebte er als freier Schriftsteller in Worpswede; aus seiner Ehe mit Else Popp gingen zwei Kinder hervor.

Seine Romane und Erzählungen haben meist einen kulturhistorischen Hintergrund. Die große Flut behandelt die Folgen der Burchardiflut, die in der Nacht vom 11. zum 12. Oktober 1634 die Nordseeküste zwischen Ribe und Brunsbüttel verwüstete. Dabei wurde die Insel Strand auseinandergerissen. Augustinys 1943 erschienene „Chronik“ ist bis heute sein bekanntestes Buch geblieben, das immer wieder neu aufgelegt wird:

„Es wurde zu dieser Stunde der dreißigste Dammbruch auf dem Stallerhof gemeldet. Da senkte Henriette den Kopf und weinte; lautlos weinte sie in ihr Brusttuch hinein. Alsbald aber kam ein anderer Bote, der sagte aus, daß auch der Deich des Hensebeckkooges nicht mehr halte; da hieß sie den Boten warten und schrieb mit fliegender Hand an ihren Mann. Sie beschwor ihn, zu kommen, aber nicht den geraden Weg am Außendeich des Hensebeckkooges, sondern den Binnendeich zu wählen.“

Waldemar Augustiny: Die große Flut. Chronik der Insel Strand. Husum 1981, S. 443.

Augustiny hat sich allerdings auch als Biograf einen Namen gemacht. Neben den Arbeiten über Paula Modersohn-Becker (1960) und Otto Modersohn (1966) ist besonders sein Buch Albert Schweitzer und Du (1955) zu nennen, das mehrfach übersetzt wurde.

Eine kritische Perspektive entwirft Ferdinand Krogmann in seiner Studie Waldemar Augustiny – „Schöngeist“ unterm Hakenkreuz, in der er ihm vorwirft, seine Rolle im „Dritten Reich“ nie kritisch reflektiert zu haben. „Beachtlich“ sei Augustinys Nähe „zu vielen nationalsozialistischen bzw. deutsch-völkischen Schriftstellern und bemerkenswert das Ausmaß der gegenseitigen Unterstützung – sowohl während der NS-Diktatur als auch in den Jahren der Entnazifizierung“. #2 Krogmann interpretiert Die große Flut als Roman, der „zentrale Elemente der nationalsozialistischen Ideologie, nämlich strikte Rassentrennung und ‚Reinerhaltung‘ der eigenen Rasse“ #3 propagieren würde. Hiernach waren es „nicht die Sturmfluten, die Strand vernichteten, sondern die Fremden, die die Insel von innen zerstörten, weil sie wie ‚Gift‘ in die friesischen Häuser und Familien eindrangen und die ‚alte, geheiligte Ordnung‘ zersetzten“. #4

Der kanadische Historiker Lawrence D. Stokes kommt im Hinblick auf die Person des Schriftstellers zu einer anderen Auffassung. Zwar habe Augustiny zum 1936 gegründeten Eutiner Dichterkreis und damit zu einer der wichtigsten nationalsozialistisch geprägten Schriftstellergruppen der NS-Zeit gehört, wäre aber den „ganz wenigen offenbar politisch abstinenten Mitgliedern“ #5 zuzurechnen gewesen:

„Die Biographien bzw. Selbstdarstellung von Augustiny, die noch im ‚Dritten Reich' verfaßt wurden, bestätigen nicht nur den Eindruck des unpolitischen Schriftstellers, sondern liefern auch einen möglichen Grund für diese Enthaltsamkeit: die Abscheu des sanftmütigen Augustiny gegenüber den gewalttätigen Auseinandersetzungen von Deutschen während der Zwischenkriegszeit.“

Lawrence D. Stokes, Der Eutiner Dichterkreis und der Nationalsozialismus. Neumünster 2001, S. 224.

1959 hat Augustiny das Bundesverdienstkreuz erhalten.

31.3.2021Kai U. Jürgens

ANMERKUNGEN

1 Gero von Wilpert, Lexikon der Weltliteratur. Deutsche Autoren A–Z, Vierte, völlig neu bearbeitete Auflage. Stuttgart 2004, S. 25.

2 Ferdinand Krogmann: Waldemar Augustiny – „Schöngeist“ unterm Hakenkreuz. Ein Beitrag zur niederdeutschen Heimatbewegung im Nationalsozialismus. Weimar 2005, S. 125.

3 Ebd., S. 98

4 Ebd., S. 97.

5 Lawrence D. Stokes, Der Eutiner Dichterkreis und der Nationalsozialismus. Neumünster 2001, S. 223.