Heino Jaeger

Jaeger, Heino Erik.

Abgründiger Maler und Satiriker

Geboren in Hamburg-Harburg am 1. Januar 1938
Gestorben in Bad Oldesloe am 7. Juli 1997

Der Humorist und bildende Künstler Heino Jaeger ist ein großer Unbekannter geblieben, auch wenn es nicht an Versuchen gefehlt hat, das zu ändern: Prominenz wie Loriot, Eckhard Henscheid oder Olli Dittrich hat sich für ihn eingesetzt, und zuletzt hat 2021 Rocko Schamoni mit seinem Roman Der Jaeger und sein Meister dem weithin Vergessenen gehuldigt. Vermutlich sind die Bilder, Hörspiele und Texte Jaegers aber doch zu weit vom Comedy-Mainstream entfernt, um allgemein wertgeschätzt zu werden. Das Leben des radikalen Außenseiters, das seinem Werk an Unkonventionalität nicht nachsteht, endete in Schleswig-Holstein, im Pflegeheim „Haus Ingrid“ in Bad Oldesloe. Hier hatte der alkoholkranke und in psychiatrischer Behandlung befindliche Jaeger seine letzten zehn Lebensjahre verbracht – von der Kulturwelt, von der er nie ein Teil war, ebenso vergessen wie sein Schaffen.

Heino Jaeger wurde am 1. Januar 1938 in der damals zur Provinz Hannover gehörigen Stadt Harburg-Wilhelmsburg geboren, die wenige Monate später nach Hamburg eingemeindet wurde. Seine Familie übersiedelte 1943 nach Dresden, erlebte dort 1945 den alliierten Luftangriff und kehrte dann nach Harburg zurück. Jaeger studierte an der Landeskunstschule (heute HFBK) Hamburg bei dem renommierten Künstler und Werbegrafiker Alfred Mahlau, der auch Horst Janssen und Vicco von Bülow (Loriot) zu seinen Schülern zählte, und arbeitete danach für verschiedene Einrichtungen als Zeichner und Grafiker (darunter das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum in Schleswig).

Schon bevor er sich als bildender Künstler und Komiker einen Namen machte, entwickelte Jaeger eine spezifische Weltsicht, die später seine Werke prägen sollte: Zusammen mit einer Gruppe von Freunden suchte er fanatisch nach Zeugnissen aus der Vergangenheit – alte Straßenbahnen und Gebäude, Schlösser und Haushaltsgegenstände, Militaria, in Vergessenheit geratene Dialekte und Soziolekte und alles, was aus dem Blickwinkel der verhassten Moderne verschwunden war. Scheinbar aus der Zeit gefallene Orte (wie etwa das Gut Haseldorf) wurden dabei gezielt aufgesucht. Das auf diese Weise gefundene Material hielt Jaeger dann in künstlerischer Form der Gegenwart vor, wobei er keine Rücksicht auf deren Bedürfnis nahm, bestimmte Dinge bequemerweise zu vergessen und zu verdrängen: Eine Kunstausstellung in Berlin 1972 trägt den Titel Heino Jaeger: Ein Maler des Deutschen Reiches stellt in der ehemaligen Reichshauptstadt aus, und die Bilder kokettieren mit dem Inventar einer faschistischen Ästhetik, ohne jemals selbst ideologisch Position zu beziehen.

In seinen Radiosketchen, die er seit 1968 hauptsächlich für den WDR aufnahm und die seinen Ruhm begründeten, ist der Bezug auf die Vergangenheit meist weniger provokant, aber man unterschätzt diese Arbeiten, wenn man sie als harmlose Comedy abtut. In den Worten von Hanns Dieter Hüsch, einem frühen Förderer:

[W]er sich mit Heino Jaeger einläßt, muss sich auf manches gefaßt machen. Man hört sich selbst reden und stammeln und wird von ihm zum Schweigen verurteilt. Er macht uns alle nach, damit wir uns nichts vormachen. Ich halte ihn für den erbarmungslosesten Ohrenzeugen unserer Allerweltsgespräche.

Zitiert nach Joska Pintschovius: Heino Jaeger: Eine erzählte Biographie. In: Heino Jaeger: Man glaubt es nicht. Leben und Werk. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2007, S. 11-161, hier S. 55.

Hier wird Jaegers Fähigkeit zur Mimikry angesprochen: Sein Talent für Dialekte aller Art ist bemerkenswert, und besonders was die fast dokumentarisch genaue Wiedergabe einer spezifisch norddeutsch-kleinbürgerlichen Sprechweise angeht, nimmt es so leicht niemand mit ihm auf. Er leistet in dieser Hinsicht das für das Norddeutsche, was Gerhard Polt für das Bairische und Helmut Qualtinger für das Wienerische getan haben. Er belässt es jedoch nicht bei dieser (schon an sich komischen) Dokumentation, sondern lässt seine oft improvisierten Darbietungen unbeirrbar ins Absurde kippen. Das bringt die routinierten Sprachklischees, die er seiner Umgebung abhört, umso deutlicher zum Vorschein, etwa in diesem Gespräch mit einem Ausbilder bei der Bundeswehr (wie immer werden alle Rollen von Jaeger selbst gesprochen):

Moderator: Das Märzenschießen trifft nur dann zu, wenn das Gebiet, wo dieses Schießen stattfindet, auch entsprechend gewährleistet wird. Zunächst kann man unterscheiden vom einfachen Schießen, das Schießen im Schußbecher, das Weitschießen, Fernschießen, Nahschußbereich, Fernschußbereich.

Hemmholz: Gerade im Fernschußbereich trifft es doch dann so zu, daß in größeren Waldgebieten größere Flächen gewährleistet sind.

Moderator: Hier tritt der junge Soldat an ein Aufgabengebiet heran, in dem er, zum Beispiel, je größer eine Entfernung ist, eine größere Schußsicherheit gewährleistet wird. Die Vielfältigkeit der Aufgabengebiete, die Gewährleistung eines solchen Schußfeldes ist überaus reichhaltig. Man kann im großen und ganzen davon ausgehen, daß ein solches Waldgebiet, worin geschossen wird, entsprechende Berücksichtigung erfährt.

Heino Jaeger: Schießen im Märzbecher. In: Heino Jaeger: Man glaubt es nicht. Leben und Werk. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2007, S. 392-393, hier S. 392.

Seine Aufnahmen liefen nicht nur im Radio, sondern wurden auch auf Schallplatte gepresst – die Platte Meisterstücke wurde 1976 auf dem Fresenhof in Bohmstedt aufgenommen und vom Hausherrn Knut Kiesewetter produziert. Besonderen Erfolg hatte Jaeger mit seinem Radio-Format Praxis Dr. Jaeger, in dem von ihm erdachte und gesprochene Personen sich bei einem vermeintlichen Experten Rat für alle erdenklichen und unerdenklichen Lebenssituationen holen. Auch hier kippt die durchaus stichhaltige Analyse bundesrepublikanischer Geisteszustände oft ins Absurde:

[I]n einem ordentlichen Haushalt, da muß eben alles blitzen, finde ich jedenfalls als Hausfrau – nich. Und ich mach alles gründlich sauber. Ich wasch’ alles gleich ab, und wenn ich dabei bin, denn wasch ich auch gleich die Wäsche mit’m Schrubber ab, da kommt denn was runter, das kann ich Ihnen sagen. Und denn wird immer gleich jede Woche das Wohnzimmer feucht übergewischt, auch das Sofa und die Flauschmöbel. Alles was reingeht, steck ich in die Waschmaschine, nur den Fernseher, den laß ich ganz vorsichtig im 1. Waschgang kurz durchlaufen, denn sieht er wieder wie neu aus. […] Auch wenn ich Obst kauf – das kommt ja meistens aus Italien und aus diese schmutzigen Länder, also nicht schmutzig, die sind ja in der EWG, aber da ist es so unhygienisch, nich, das haben sie mal im Fernsehen gezeigt, und denn tu ich das Obst auch erst mal in die Waschmaschine, aber dafür nehm ich nur Pril.

Heino Jaeger: Scheuerteufel. In: Heino Jaeger: Man glaubt es nicht. Leben und Werk. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2007, S. 300.

Anders als die Verfechter*Innen eines keimfreien Lebens, die er so oft porträtiert, führte Jaeger selbst eine unordentliche, chaotische Existenz außerhalb bürgerlicher Normen. Ständig fehlte es ihm an Geld, er wurde zunehmend zum Alkoholiker und verhielt sich immer erratischer. Schon vor seinem Durchbruch hatte er psychische Krisen gehabt und war 1966 in der Psychiatrie in Kiel behandelt worden. Nachdem 1983 seine Hamburger Wohnung komplett ausbrannte, wobei etliche Zeichnungen vernichtet wurden, wurde Jaeger in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Nach Stationen in verschiedenen Hamburger Sozialeinrichtungen und im Sengelmann-Krankenhaus in Bargteheide gelangte er schließlich 1988 nach Bad Oldesloe, wo er bis zu seinem Tod 1997 im sozialpsychiatrischen Heim „Haus Ingrid“ lebte. In Bad Oldesloe ist er auch begraben.

Trotz insgesamt geringer öffentlicher Beachtung sind seit seinem Tod etliche seiner Werke wieder verfügbar gemacht worden. Seine Schallplatten aus den 1970er Jahren wurden wiederaufgelegt, und zwischen 1998 und 2010 erschienen im Kein-und-Aber-Verlag insgesamt 4 CDs mit Radiosendungen. 2005 erschien unter dem Titel Man glaubt es nicht eine Auswahl seiner Texte in Buchform – dieser Band enthält auch eine ausführliche Biographie Jaegers, verfasst von seinem Freund Joska Pintschovius. Auf Pintschovius’ Erinnerungen stützt sich auch Rocko Schamonis Roman Der Jaeger und sein Meister, der 2021 erschien und Jaegers Karriere in Romanform aufbereitet.

7.10.2022 Jan Behrs