Knut Kiesewetter

Kiesewetter, Knut; Pseudonyme: Kid Kiets; Nut Weather; Kid Burbank.
Jazzsänger, Liedermacher, Posaunist, Gitarrist und Produzent.
Geboren in Stettin am 13. September 1941
Gestorben in Garding am 28. Dezember 2016

Die Lebensgeschichte des 1941 in Stettin geborenen Knut Kiesewetter lässt sich auf verschiedene Weisen erzählen: als Karriere eines international renommierten Jazz-Posaunisten und -Sängers, als Entwicklung eines engagierten Liedermachers und Mund­artsängers, als vorüber­gehender, wenngleich beträchtlicher Erfolg eines professionellen Witzeerzählers und Schlagersängers, als Werdegang eines wichtigen Entdeckers, Komponisten und Produzenten einer ganzen Reihe von Popstars der BRD, schließlich als Laufbahn eines Dozenten der Hamburger Hochschule für Musik und Theater und Trägers des Schleswig-Holsteinischen Verdienstordens. Kiesewetter selbst wählt in seiner Autobiografie die Form der Anekdote, welche seine Erinnerungen an Ereignisse und Personen bindet und jeweils mehr der Pointe verpflichtet ist, als der kausalen oder auch nur chronologischen Reihung.

Dass dem auf der Oberfläche oft heiteren, bisweilen heimat­tümelnden Entertainment ein düsteres Fundament eignet, macht Kiesewetter zu einem nachgerade proto­typischen Vertreter der deutschen Nachkriegs­generation. In seiner Auto­biografie berichtet er nicht ohne bittere Note von Züchtigungen und Herabwürdigungen durch seinen Vater, einen ehemaligen SS-Offizier, der stellvertretend für eine moralisch-weltan­schauliche Kontinuität der Nazizeit steht. An die Stelle einer Aufarbeitung der NS-Verbrechen rückt das stolze Beharren auf vergangenen Meriten: Eigentlich war er Bauingenieur; in seine Arbeits­bewerbung schrieb er jedes Mal, dass er bei der SS war. Und so wurde er in seinem eigentlichen Beruf vor 1956 nicht angestellt.#1

Aus dieser Konstellation lassen sich sowohl Kiesewetters Hinwendung zum gegen­kulturellen, internationalen Jazz ableiten als auch das im Bild des Fresenhofs kulminierende Rückzugsnarrativ. In der im Oktober 1976 ausgestrahlten Fern­sehsendung Je später der Abend sagt er:

All das, was ich geworden bin, bin ich im Grunde durch meinen Vater geworden, das muss ich sagen. Alles, was er wollte, was er aus mir machen wollte, ist ins Gegenteil umgeschlagen. Er hat auch natürlich nicht gewollt, dass ich Musik mache, das ist klar. Und ich bin Musiker geworden und habe auch schon damals heimlich auf dem Boden Tucholsky und Kästner gelesen, was für ihn undenkbar war.

WDR Fernsehen, Erstausstrahlung am 30.10.1976

Nachdem das nordfriesische Garding ihm seit seinem dritten Lebensjahr zur Heimat wurde, zieht die Familie nach St. Peter Ording, wo Kiesewetter in der Band seines Bruders Hartmut mit der Posaune und Gitarre erste Auftritte absolviert. Zum professionellen Musiker wird er in Hamburg, das ihm, nach einem abgebrochenen Musikstudium in Lübeck, ab 1959 für viele Jahre zur künstlerischen Heimat wird. In Hamburg steht Kiesewetter mit den damals noch unbekannten Beatles auf der Bühne des vom notorischen Bruno Koschmieder geführten »Indra«, zählt sich selbst aber eher zur damals noch großen Jazz-Szene (hier deutsch zu sprechen: Jatz).

Parallel nimmt Kieswetter mit seinen Geschwistern Hartmut und Sigrun eine der ersten deutschsprachigen Folk-Platten im Stil Peter, Paul & Marys auf. Überhaupt bewegt sich Knut Kiesewetter sehr gekonnt zwischen den Stilen und kann auf seine instrumentalen wie stimmlichen Fähigkeiten vertrauen. 1965 wird seine Nachdichtung des Beatles-Klassikers Yesterday zu einem großen Erfolg. Die gesamten 60er Jahre über wird Kiesewetter immer wieder als bester Jazz-Sänger des Landes ausgezeichnet. Ab 1969 dann finden seine Schallplatten mit »kaputten« Witzen reißenden Absatz, parallel beginnt Kiesewetter als Produzent zu arbeiten.

1971 kauft der seit seiner Kindheit an stark sehbehinderte Kiesewetter einen Resthof in Bohmstedtfeld in der Nähe Husums. Es scheint, als fungiere die unberührte Natur Nord­deutschlands als Sehnsuchtsraum und zugleich friedliches Pendant der unglücklichen Jugend. Die lebenslange Verbundenheit mit seiner Heimatstadt Garding und der plattdeutschen Sprache beschwören einen Heimatbegriff, der (noch) unbeleckt von völkischen Ideologemen ist.

Gleichzeitig liefert der fortan so benannte Fresenhof einen ästhetischen Gegenentwurf zum sich zunehmend professionalisierenden Trubel der Hansestadt Hamburg. Kiesewetter ›entdeckt‹ und produziert Künstler wie Hannes Wader, Volker Lechtenbrink und Fiede Kay, macht Aufnahmen mit Sonderlingen der norddeutschen Kunstwelt wie Hein Hoop und Heino Jaeger und schreibt und singt auch selbst Stücke des mittlerweile popularisierten Folk-Genres. So politisch wie Franz Josef Degenhardt oder Wolf Biermann ist er nie, dafür passen seine Rückbesinnung auf die volkssprachlichen Wurzeln des Liedguts (LP Leeder vun mien Fresenhof, 1976) und der lebensweltliche (sprich: regional-privatistische) Hintergrund dieser Haltung (LP Wo büst du ween, 1978) hervorragend zu den einerseits entradikalisierten, in der Reflexion eigener Ängste und Befindlichkeiten (LP Springe nicht in mein Boot, 1978) aber nicht unpolitischen Zeit. Kiesewetter engagiert sich früh für die Umweltbewegung und prägt mit Titeln wie »Keiner hat mich richtig lieb« (dto., 1974) oder »Die Macht im Staat« (LP Vom Traum, ein großer Mann zu sein, 1976) die Selbstentwürfe einer hochprivilegierten, gleichwohl nach alternativen Lebensentwürfen strebenden ersten Baby-Boomer-Generation.

Die in den 70er Jahren entwickelte und perfektionierte Poetik behält Kiesewetter in den 80er Jahren weitgehend bei. Trotz gelegentlicher Rückkehr zum Jazz (LP Jazz again, 1980/LP Just for fun, 1987) bleiben die späten Platten ohne nennenswerte Resonanz und legitimieren damit scheinbar eine sich einschleichende Frustration. Kiesewetter letztes Album mit originalen Aufnahmen erscheint 1993 in Koproduktion mit Sohn Klas (LP Here comes the son. Knut & Klas Kiesewetter unplugged). Ironischerweise scheint gerade die in seiner Autobiografie beschriebene Entfremdung von seinem Sohn die Ausbildung eines Alterswerks zu hemmen. Die Schilderung des Suizids seiner alkoholkranken Ehefrau Regine und ein sich im Alter offenbar verstärkendes Misstrauen gegenüber dem Kulturbetrieb rahmen den Lebensrückblick mit einer bitteren Note. »Einsam ist mein Herz / weil es dich verloren hat«, singt Kiesewetter in seiner Nachdichtung des Beatles-Klassikers Yesterday: »Nur einmal noch / wie gestern sein«. 2016 ist Knut Kieswetter gestorben.

15.12.2022 Ole Petras

ANMERKUNGEN

1 Knut Kiesewetter: Fresenhof. Ein Stück von mir. Autobiografie in Anekdoten. Husum 2016, S. 24.