Timm Kröger

Kröger, Timm

Heimatdichter an der Schwelle zur Moderne

Geboren in Haale am 29. November 1844

Gestorben in Kiel am 29. März 1918

Kaum ein anderer Name ziert so viele Straßenschilder in Schleswig-Holstein, aber auch in Hamburg, Hannover und Cuxhaven, wie der des in Haale gebürtigen Juristen und Heimatschriftstellers Timm Kröger. In Neumünster und Elmshorn wurden Schulen nach ihm benannt (ebenso in Kiel, aber die heißt mittlerweile „Friedrich-Junge-Schule“), während seine Beschreibung auf der VIP-Liste der Burschenschaft Teutonia Kiel denkbar minimalistisch ausfällt: „Rechtsanwalt, Erzähler und Novellist“. #1

Am 29. November 1844 wird Timm Kröger als Sohn des wohlhabenden Bauernpaars Hans und Trienke Kröger in der kleinen Gemeinde Haale im Kreis Rendsburg geboren. Zwölf Jahre später kommt hier auch sein Neffe Jürgen zur Welt, des es später bis zum kaiserlichen Baurat und Kirchenbaumeister bringen soll. In Hohenwestedt besucht Timm die Volksschule und entscheidet sich danach gegen die Weiterbewirtschaftung des elterlichen Hofs; lieber möchte er studieren. Die Rechtswissenschaften haben es ihm besonders angetan, und so geht er 1864 an die Universität in Kiel, wird Mitglied in besagter Burschenschaft und kehrt, nach weiteren Studienaufenthalten in Zürich, Leipzig und Berlin, 1869 nach Schleswig-Holstein zurück, wo er sein Referendariat in Meldorf aufnimmt. Timm Kröger ist jetzt 25 Jahre alt, aber das Ziel der Schriftstellerei liegt noch in sehr weiter Ferne vor ihm, wie sein Biograf Friedrich Ernst Peters erläutert:

Wenn man von Haale auszieht, um das Land der Literatur zu erwandern, so ist das ein langer und beschwerlicher Weg. Zu den äußeren Hemmnissen kommen jene anderen, die in der niederdeutsch-bäuerlichen Sinnesart liegen: die Scheu, vor die Öffentlichkeit zu treten, der lähmende Gedanke, mit dem Aufschreiben von Lügengeschichten und Hirngespinsten in einen gefährlichen Widerspruch zu der auf Hervorbringung realer Werte gerichteten Tradition des Bauerntums zu geraten, die Angst vor etwas eigentlich Unzulässigem, der Zweifel an der eigenen Berufung. So ist Timm Kröger spät zum Schreiben gekommen […].

Friedrich Ernst Peters: Timm Kröger. Der Dichter unserer Heimat. Unveröffentlichtes Typoskript [Schleswig 1954]. Potsdam 2012, S. 12.

In Meldorf lernt er seine erste Frau kennen, Wiebcke Catharina Margaretha Idaline Boie. Nach beruflich bedingten Wanderjahren durch ganz Deutschland heiraten die beiden 1876 und ziehen zunächst nach Flensburg, wo Kröger eine Anstellung als Rechtsanwalt und Notar findet und die beiden einzigen Kinder aus der Ehe zur Welt kommen. Ab 1880 wohnt die Familie in Elmshorn.

Drei Jahre nach dem Tod Wiebckes im Jahre 1887 heiratet Timm Kröger ein zweites Mal: Hilda Elfrieda Jacobine Boie, die Tochter des verstorbenen Hofbesitzers Friedrich Theodor Boie und der Beate Friedericke, geborene Voß, aus Thalingburen im Kirchspiel Meldorf. Ab 1892 wohnt die Familie in Kiel, wo in den nächsten Jahren, flankiert von ersten Prosaveröffentlichungen wie Der Schulmeister von Handewitt (1893), Die Wohnung des Glücks (1897) und Hein Wieck und andere Geschichten (1899), Krögers Entschluss heranreift, den Juristenberuf zugunsten der Schriftstellerei endgültig an den Nagel zu hängen; ein Schritt, den er schließlich 1903 wagt.

Den entscheidenden Anstoß hierzu liefert vermutlich der nur wenige Monate ältere Kieler Dichter Detlev von Liliencron, der alle Hände voll damit zu tun hat, jedwede möglichen Ängste des angehenden Schriftstellerkollegen zu vertreiben und diesen auch davon abbringt, unter einem anderen als seinem Geburtsnamen zu schreiben:

Die […] Hemmungen des Kunstbeflissenen dörflicher Herkunft zeigen sich ergötzlich in den Bedenken gegen den eigenen Vornamen. Timm – klingt das nicht altväterisch, hausbacken, hinterwäldlerisch? Schlarrt man nicht mit einem solchen Vornamen tölpelhaft wie auf Holzpantoffeln über die Schwelle der Literatur, die doch wohl ein Salon ist? Liliencron zerstreute die ihm brieflich vorgetragenen Bedenken und sprach sich mit aller Entschiedenheit gegen eine Änderung des Vornamens aus. „Der Vorname Timm ist in der Literatur geradezu ein Vermögen".

Friedrich Ernst Peters: Timm Kröger. Der Dichter unserer Heimat. Unveröffentlichtes Typoskript [Schleswig 1954]. Potsdam 2012, S. 13.

Bis 1909 erscheinen von nun an jährlich ein bis zwei Romane oder Erzählbände, in denen sich Timm Kröger stets von Neuem dem Leben auf dem schleswig-holsteinischen Land widmet und dieses in bevorzugt humoristisch-impressionistischer Weise wiedergibt. Dabei schöpft er gerne aus dem Erlebnis- und Personenfundus der eigenen Kindheit und Jugend und formt so manche Romanfigur nach einem Mitglied seiner großen Familie:

In der Familie gab es besondere, man kann wohl auch sagen: sonderbare Leute. Ein Bruder des Großvaters war das Urbild des Jasper Thun aus der Novelle „Wie mein Ohm Minister wurde“. Ein Bruder der Mutter, der Schneider Hans Bornholdt, ist in den Werken verewigt als der Ohm, der so wunderbare Geschichten zu erzählen weiß, wie man denn überhaupt den Eindruck gewinnt, als habe die in der Folge der Geschlechter gesammelte Fülle besonderer Eigenschaften noch zähflüssig und ungestalt durcheinander gewogt, bis der von der Familie Bornholdt zugebrachte Anteil in Timm Kröger die feste Gestalt, die Kristallisation zu dichterischem Wesen bewirkte.

Friedrich Ernst Peters: Timm Kröger. Der Dichter unserer Heimat. Unveröffentlichtes Typoskript [Schleswig 1954]. Potsdam 2012, S. 11.

Schon vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs spürt Timm Kröger das Herannahen einer neuen Zeit, auch in künstlerischer Hinsicht. Der Expressionismus und andere moderne Strömungen verdrängen nach und nach den zunehmend als Kitsch empfundenen Impressionismus der Heimatschriftsteller, und so formuliert er 1914 aus seinem Haus im Kieler Niemannsweg fürs Vorwort seiner Novellen-Gesamtausgabe eine bedenkenswerte Verteidigung des Genres:

Als wesentliches Merkmal der Heimatdichtung oder Heimatkunst erkenne ich ihre Gebundenheit an einen Ort oder an eine bestimmte Landschaft mit Unterstreichung der in dieser Umwelt hervortretenden Eigenart bei Menschen sowohl wie bei der Natur. Im Übrigen wird das ganze Gebiet dichterischer Darstellung von ihr so gut wie von anderer Dichtkunst ausgenutzt. Ein echter Heimatdichter wird seine Gestalten mit klarer Hervorkehrung scharfer Charakterköpfe nicht weniger ins Typische und Allgemeinmenschliche hinaufheben wie ein Romanschreiber, der sich vorgesetzt hat, eine Welt an uns vorüberrollen zu lassen, und mit demselben Recht wie jeder andere Dichter klopft auch der Heimatdichter mit allen unlösbaren Fragen der Warum und Wie und Wohin an die Tore des Ewigen. Nur in einem Punkte legen die meisten sich Beschränkung auf: sie lehnen es ab, in den Stürmen der Zeit die Rolle von Kämpfern zu übernehmen. – Und hier läuft, wie mir scheint, der Strich, der uns von den Ganzmodernen scheidet, die just hierin, im Fanfarenton neuer Bestrebungen, die Aufgabe der Dichtkunst erblicken. Die Heimatkunst verächtlich über die Achsel ansehend, geben sie ihr das Merkmal der Philisterenge und spotten über die Poesie des Glücks im Winkel. Nach unserm Dafürhalten durchaus mit Unrecht. Sie nehmen an, die Ideen ihrer Zeitdichtungen seien für uns zu groß, und ahnen nicht, daß sie uns zu klein erscheinen.

Timm Kröger: Novellen. Gesamtausgabe in sechs Bänden. Hamburg 1914, zit. n. Peters, S. 14f.

Das Ende des Krieges erlebt Timm Kröger nicht mehr. Er stirbt am 29. März 1918 in Kiel. An der Stelle, wo einst sein Haus stand, ist im Niemannsweg 26 eine kleine Gedenktafel zu finden.

30.6.2021 Jens Raschke