Martin Luserke

Luserke, Martin Otto Rudolf

Pädagoge, Seefahrer und Verfasser von Abenteuerromanen

Geboren in Berlin am 3. Mai 1880
Gestorben in Meldorf am 1. Juni 1968

Sein Name ist, wenn überhaupt, noch Erziehungs- und Theaterwissenschaftler*Innen geläufig, während der Erfolgsschriftsteller Martin Luserke weithin vergessen ist. Pädagogik, Laienspiel und Literatur gehören bei ihm aber untrennbar zusammen, was schon die Tatsache beweist, dass Luserkes erste literarische Buchveröffentlichung ein Band mit Komödien ist, die er für die Bühne der Freien Schulgemeinde Wickersdorf geschrieben hatte. In dem 1912 im Verlag von Waldemar Bonsels erschienenen Buch kann sich der 1880 in Berlin geborene Pädagoge bereits seiner „genauen, in vielen Aufführungen erworbenen Kenntnis der Möglichkeiten und der Wirkungen dieser Bühne“ rühmen, #1 und das Laientheater wird bis zum Ende seines langen Lebens sein wichtigstes Betätigungsfeld bleiben: insgesamt verfasste er mehr als 100 Dramen, von denen etliche gedruckt wurden. In der als wichtiger Prägungsort der Jugendbewegung bekannten Schule in Wickersdorf war Luserke seit ihrer Gründung aktiv: im Jahr 1906 hatte er sie gemeinsam mit Gustav Wyneken und anderen unorthodoxen Pädagogen ins Leben gerufen, er war maßgeblich für die dort gepflegte pädagogische Praxis verantwortlich, und zwischenzeitlich fungierte er wiederholt als Schulleiter. Zu seinen Schülern zählten Walter Benjamin, zu seinen Kollegen Wilhelm Lehmann, der von 1912 bis 1917 in Wickersdorf unterrichtete, diese Zeit in seinem Roman Der Bilderstürmer thematisierte und später seinen eigenen Sohn auf Luserkes „Schule am Meer“ schicken sollte.

Diese Schule, Luserkes pädagogischer Hauptwirkungsort, entstand 1925 auf der ostfriesischen Insel Juist, nachdem es zum Bruch zwischen ihm und Wyneken gekommen war. Auf der Nordseeinsel konnte Luserke eine Anstalt ganz nach seinen Vorstellungen entwickeln: Die Zöglinge lernten nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch, indem sie sich an der Urbarmachung der Umgebung und am Küstenschutz beteiligten, und die Schule erhielt 1930 eine eigene Theaterhalle, die von dem namhaften Architekten Bruno Ahrends entworfen wurde und nach den Plänen des preußischen Kultusministeriums als reichsweites Zentrum für die Ausbildung von LaienspielpädagogInnen dienen sollte. Nach der Machtergreifung der Nazis geriet die vorher staatlich geförderte Schule, die ungewöhnlich viele jüdische Schüler*Innen hatte, jedoch schnell ins Abseits und musste 1934 schließen. Luserke, der bereits 1931 das Steuermannspatent erworben hatte, kaufte daraufhin ein niederländisches Fischerboot, renovierte es und stach mit dem nun „Krake“ genannten Schiff in See. Gemeinsam mit seinem Sohn Dieter und wechselnden weiteren Reisegefährten durchsegelte er die Nord- und Ostsee und verbrachte nur die Winter in einer Wohnung in Emden. Die Meere dienten Luserke als Inspiration, während die „Krake“ selbst die schwimmende Dichterwerkstatt abgab:

In meinem Salon gibt es den eingebauten Schreibtisch, einen Büchervorrat (mit ½ laufendem Meter Literatur läßt es sich schon leben), eine Schreibmaschine, den Käfig des Bordvogels und allerlei Holzschnitzereien, um nur einiges zu nennen. Es ist überhaupt erstaunlich, welche Mengen von Dingen sich in einem Schiff wegstauen lassen.

Martin Luserke: Logbuch des guten Schiffs „Krake“ DGJC von seiner vierten Dänemark-Fahrt 1936 aus Holtenau, rund um Seeland über Stralsund nach Kappeln (Schleswig) zurück. Potsdam: Voggenreiter 1937, S. 8.

In den folgenden Jahren wird sich Luserke rasch einen Namen als Verfasser maritimer Abenteuergeschichten machen, wobei seine eigene Existenzweise und seine Werke eine intensive Verbindung eingehen: Fast immer geht es in seinen Büchern um Schiffe und Seereisen, und die ehemalige Kennung der „Krake“ wird in den Titel seines Romans Obadjah und die ZK 14 aufgenommen, was dem Buch einen Hauch von Authentizität verleiht und Luserke umgekehrt die Gelegenheit gibt, eine imaginierte Vorgeschichte seines Boots zu erzählen:

Die ZK 14 nun stammte von der uralten Zigeunereiche, die am Westausgang des Dorfes Tireloo seitlich und über der großen Landstraße auf einem niedrigen, mit Gebüsch bedeckten Höhenrücken seit Menschendenken gestanden hatte. Man sah den Baum von der Straße aus gedrungen und mit den dicken, kurzen Ästen merkwürdig verquer gewachsen über einer grasigen Lichtung aufragen. Er hatte etwas verdächtig Lebendiges an sich, etwa so, als ginge die Rasendecke der Lichtung über dem in der Vorzeit verscharrten Leichnam eines riesigen Unholds bergauf, von dem sich der Unterarm und die halbgeöffnete Hand als ein vorgetäuschter Baum in unziemlichem Tasten noch immer aus dem Boden heraus an die Luft reckten.

Martin Luserke: Obadjah und die ZK 14 oder Die fröhlichen Abenteuer eines Hexenmeisters. Roman. Potsdam: Voggenreiter 1937, S. 21.

Auch für seine zahlreichen Leser*Innen war die Verbindung zwischen Seegeschichten und seefahrendem Autor offenbar wichtig: Luserke berichtet im 1937 veröffentlichten Logbuch einer seiner Fahrten von etlichen Treffen mit Fans, die seinen erfolgreichsten Roman Hasko gelesen hatten und dessen Verfasser und sein Schiff erkannten.

Auch wenn Hasko, Obadjah und die meisten anderen von Luserkes nun in schneller Folge erscheinenden Texten in der Vergangenheit angesiedelt sind, sind die in ihnen geschilderten Abenteuer nicht unbedingt unpolitisch. Dass mindestens zwei von Luserkes Texten in Lizenzausgaben im NSDAP-Verlag Franz Eher Nachfolger erschienen und der Obadjah im Völkischen Beobachter vorabgedruckt wurde, ist ein Hinweis darauf, dass den Machthabern seine flott geschriebene, oft um den „Norden“ kreisende Literatur sehr erwünscht war, und in seinen eigenen Bekundungen wie dem folgenden Zitat aus dem Logbuch erscheint der Autor sicher nicht als Regimegegner:

Die Ausfahrt wird plötzlich noch einmal zu einer ganz großen Sache. […] Und alle die Menschen der Schwedenküste heben, als unsre deutsche Flagge passiert, die Hand zum Hitlergruß. So etwas gehört zu den stolzen Begebenheiten!

Martin Luserke: Logbuch des guten Schiffs „Krake“ DGJC von seiner vierten Dänemark-Fahrt 1936 aus Holtenau, rund um Seeland über Stralsund nach Kappeln (Schleswig) zurück. Potsdam: Voggenreiter 1937, S. 45f.

Dennoch ist Luserkes Verhältnis zum Nationalsozialismus komplex: Antisemitismus war seine Sache nicht, und obwohl seine Äußerungen zum „völkischen“ Charakter seiner Spiele und Romane leicht als Parteinahme für das Regime verstanden werden können, ist seine Haltung doch von einer gewissen Distanz geprägt.

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs muss Luserke das unstete Leben auf der Krake beenden, und er lässt sich 1940 dauerhaft in Meldorf im Haus Jungfernstieg 37 nieder, wo er rasch einen Kreis von Anhänger*Innen um sich versammelt. Während seine Bücher sich in der Nazizeit weiterhin gut verkaufen, ist es damit nach dem Ende des Krieges abrupt vorbei, und der einstmals erfolgreiche Autor muss sich sein Geld mit kleinen Lehraufträgen verdienen. 1947 wird er Lehrbeauftragter für Laienspiel an der Meldorfer Gelehrtenschule, nachdem er schon seit 1940 mit der örtlichen BDM-Gruppe Theateraufführungen entwickelt hatte. Seine erneute pädagogische Tätigkeit schlägt sich auch theoretisch nieder: Luserke entwickelt die „Meldorfer Spielweise“, die tänzerische und musikalische Elemente integriert und den Darsteller*Innen viel Freiheit bei der Auswahl und Umsetzung der Stücke gibt. Zusammen mit dem Musik- und Philosophielehrer Heinrich Lohse entstehen erneut zahlreiche Stücke (oft Bearbeitungen von Märchenstoffen), die in einem eigenen „Verlag Meldorfer Spielweise“ auch gedruckt werden. Auch wenn Luserke nur fünf Jahre, bis 1952, an der Gelehrtenschule arbeitete, hinterließ seine Tätigkeit dort also weitreichende Spuren. Nach Beendigung seiner Lehrtätigkeit veröffentlichte Luserke noch einige theoretische Schriften, die sein Theaterkonzept weiter erläutern sollten. Er starb 1968 in Meldorf. Sein Grab befindet sich heute auf der Insel Juist; sein Nachlass wird von der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek in Kiel verwahrt.

14.3.2022 Jan Behrs

ANMERKUNGEN

1 Martin Luserke: Fünf Komödien und Fastnachtspiele aus der Freien Schulgemeinde Wickersdorf. München: Bonsels 1912, S. 5.